Roter Winnie tanzt wieder

Kameruns Fußballer schlagen Brasilien beim Konföderationen-Cup mit 1:0, und Trainer Winfried Schäfer, nach der verpatzten WM im letzten Jahr Coach auf Bewährung, schwelgt im Glück

aus Paris MARTIN HÄGELE

Winfried Schäfer war glücklich, dass er in seiner Muttersprache reden konnte, und seine Emotionen nicht in englischen Brocken servieren musste. Und er ließ sich diese Stimmung auch nicht von den 20 oder 30 Journalisten aus Kamerun stören, die immer wieder lautstark nach ihrem Nationaltrainer verlangten. „Die Deutschen sind doch gar nicht hier“, riefen sie und beschwerten sich: „Du bist unser Coach.“ Schäfer ignorierte die Rufe beharrlich. Denn hier in den Katakomben des Stade de France war der „Rote Winnie“ in die Vergangenheit zurückgekehrt. Er war der Sieger. Er hatte den Weltmeister Brasilien geschlagen. Alle wussten das. Selbst Samuel Eto’o, dem in der 83. Minute das Tor des Tages gelungen war, wusste, wem er zu danken hatte. Als der Stürmer von Real Mallorca in der Nachspielzeit ausgewechselt wurde, halste er seinen Trainer ab.

„Er hat mich geküsst“, sagte Schäfer, und dieser Kuss vor Millionen Menschen bedeute ihm viel. Für ihn war diese Geste ein weiterer Beweis, dass er den richtigen Kurs eingeschlagen hat mit den besten Kickern vom schwarzen Kontinent. Und so, wie sie gerade die halbe Reserve des Weltmeisters niedergekämpft hatten, hätten sie wohl auch im vergangenen Juni in Asien aufgetrumpft. „Wenn wir da fünf Tage früher in Paris wegfliegen, starten wir bei der WM durch.“ Dieser Sieg im ersten Spiel der Konföderationen-Cups bestätigt seine These, in Japan nur wegen der schlechten Vorbereitung in der Vorrunde an Irland und den Deutschen gescheitert zu sein.

Damals hatten sie tagelang mit der politischen Führung über WM-Prämien gestritten. Nun regelt Schäfer das heikle Geschäft persönlich. Den Spieler Wome, dem er unterstellte, der Rädelsführer der Feilscher gewesen zu sein, hat er im Rahmen des Generationenwechsels, den Kalla (VfL Bochum) und der Wandervogel Mboma (Japan) freiwillig mitmachten, aus dem Kader entfernt. Schäfer hat Kontakt geknüpft zu einem Mann in der Regierung, „der dort einen Platz höher steht als der alte“. Nun bekommen die Spieler, die praktisch alle in Europa stationiert sind, ihre Bonusse für nationale Einsätze direkt ausbezahlt. Das Geld versickert nicht mehr auf irgendwelchen Kanälen zwischen Yaounde und den Euro-Konten der Legionäre. „Und jetzt“, sagt Schäfer, „war unsere Vorbereitung eins plus, zum öffentlichen Abschlusstraining kamen 70.000 Leute ins Stadion.“

Für die Champions von Afrika gilt der Vergleich mit den Meistern der anderen Erdteile als Prestigesache und Frage der Ehre. Für Schäfer könnten die Tage in Frankreich eine Ersatz-WM darstellen, sie bieten dem 53-Jährigen mit der Altrocker-Frisur die Möglichkeit zur Rehabilitation. Um dieses Thema schlägt er geschickt einen Bogen. Und dass sein Auftrag für Kamerun im Falle eines weiteren Scheiterns schon nächste Woche beendet sein könnte? „Ich hab darüber gelesen“, sagt er, „aber wenn man bedenkt, dass Bayer Leverkusen vier Trainer in einem Jahr gebraucht hat, sind meine Perspektiven doch gar nicht so schlecht.“

Winfried Schäfer genießt den Augenblick. Wie ihm der Kollege Carlos Alberto Parreira im Verlauf des Abends bereits das fünfte Mal gratuliert. Immer wieder mit den selben Worten. „Ihr habt den Sieg verdient. Ihr habt uns in Schach gehalten.“ Es ist nicht nur die Ehre, die Brasilianer besiegt zu haben, noch mehr tut Schäfer das fachliche Lob gut. Er hatte ordentlich Angst gehabt vor dieser Partie, nachdem er gesehen hatte, wie die Weltmeister bei der Anreise auf Paris die Mannschaft von Nigeria beim 3:0-Sieg spielerisch auseinander nahmen.

Schäfer hat deshalb mit seinem Team gearbeitet wie nie zuvor. Er setzte sich mit seinen Führungsspielern vors Videogerät, entwickelte einen Plan, wie man die „Wahnsinnsattacken von den Flügeln“ stoppen und Regisseur Emerson dessen Einfluss nehmen könne. Er musste viel erklären. Warum die halbe Mannschaft umgekrempelt wurde und warum alle bis auf Eto’o in erster Linie verteidigen sollten. Solche taktischen Maßnahmen passen zwar nicht unbedingt zum Naturell der stolzen und generell auf Spielfreude und Angriffsfußball ausgerichteten Kameruner. „Doch als dann die nervös wurden und nicht wir“, so Schäfer, da hätten seine Leute gemerkt, dass sie die Brasilianer packen könnten.

Dieser Hammerschlag, auf den Schäfer bei mehreren Kontern gewartet hatte, kam schließlich kurz vor Schluss. Doch so schön dieser fulminante Schuss und der explosive Antritt von Eto’o auch ausgesehen haben – man hätte ihn mit ein bisschen Konzentration verhindern können. Doch der Leverkusener Weltmeister Lucio und dessen Klubkollege Juan waren sich nicht einig, wer sich um Kameruns Nummer neun kümmern sollte. Es war schon fast ein symbolischer Beitrag aus Leverkusen und bezeichnend für die abgelaufene Saison bei Bayer. Zum Wohle von Winfried Schäfer, der sich so gern ein Kind der Bundesliga nennt. Und diese Nacht im Wohnzimmer des französischen Fußballs später noch mit seinen größten Zeiten beim Karlsruher SC verglichen hat. So verrückt und so weit weg – immerhin liegen die spektakulären Uefa-Cup-Parties im Wildparkstadion schon acht Jahre zurück – sich das anhört; die Bilder vom „Roten Winnie“, der an der Linie brüllt, tanzt und tobt, sind gleich.