Ein Gesetz für die Schublade als Drohung

Die rot-grüne Koalition beschließt die umstrittene Ausbildungsumlage morgen im Bundestag – und zwingt die Wirtschaft so zu einem verbindlichen Ausbildungspakt, der das Gesetz überflüssig machen soll

BERLIN taz ■ Der Bundestag verabschiedet morgen ein Gesetz, von dem selbst die Regierung hofft, dass es nicht angewendet wird. In letzter Minute hat die rot-grüne Koalition dafür gesorgt, dass das umstrittene „Berufsausbildungssicherungsgesetz“ – im Behördendeutsch kurz „BerASichG“ – nur für die Schublade beschlossen werden könnte. Denn der überarbeitete Gesetzentwurf sieht vor, dass die Ausbildungsplatzumlage, mit der die Zahl der Lehrstellen erhöht werden soll, in diesem Jahr nicht erhoben wird – vorausgesetzt, Tarifpartner und Kommunen einigen sich auf einen verbindlichen Ausbildungspakt.

„Wenn wir nun den Pakt mit aller Macht machen, wird es zur Umlage nicht kommen“, sagt der SPD-Chef Franz Müntefering. Das letzte Wort darüber, ob der Pakt ausreicht, hat die Regierung. Sie werde am Ende „entscheiden, ob die Bedingungen erfüllt sind“, so der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Wilhelm Schmidt. Frühestens erhoben würde die Umlage dann 2005 – wenn überhaupt.

Mit dem Aufschub soll „einer freiwilligen Lösung ausdrücklich Vorrang vor der Anwendung des Gesetzes“ gegeben werden. Unterschreiben sollen den Pakt Tarifpartner und Kommunen. Sie alle sollen „verbindliche Zusagen zu finanziellen, personellen, organisatorischen oder sonstigen Beiträgen“ machen, um alle Jugendlichen zu versorgen. Der entscheidende Vorteil für die Arbeitgeber: Zahlen tauchen in der Passage über den Pakt nicht auf. „Wir wollen, dass sich alle wechselseitig verpflichten, aber nicht zahlenmäßig“, erklärt der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend. Die Bedingung, dass 15 Prozent mehr Lehrstellen angeboten werden müssen, als es Bewerber gibt, entfällt also. Die Ausbildungsumlage selbst sieht dies dagegen vor, um eine freie Berufswahl zu garantieren.

Sollte das Gesetz angewendet werden, müssten jene Firmen eine Zwangsabgabe bezahlen, bei denen die Azubis nicht mindestens 7 Prozent ihrer sozialversicherten Beschäftigten ausmachen. Wer hingegen mehr als 7 Prozent Lehrlinge in seiner Mannschaft zählt, erhält einen Zuschuss. Allerdings räumt das Gesetz tarifvertraglichen Ausbildungsvereinbarungen, wie sie in der Bau- oder Chemiebranche existieren, absoluten Vorrang ein – selbst wenn die Gesamtquote der Lehrlinge nicht die vorgeschriebenen 7 Prozent erreicht.

Eine Krise wie im letzten Jahr soll sich jedenfalls nicht wiederholen: Am Ende fanden 16.273 Bewerber keine Lehrstelle. Aber diese Zahl bildet die Realität nur ungenügend ab: Viele Jugendliche drehen Sonderrunden in staatlichen Ersatzmaßnahmen. Wie schwer es für die Schulabgänger tatsächlich ist, einen Ausbildungsplatz zu finden, zeigt eine andere Zahl: Im Ausbildungsjahr 2002/2003 waren von 719.571 Bewerbern 327.216 so genannte Altbewerber, die mindestens ein Jahr in Wartestationen zugebracht hatten. Inzwischen bildet nur noch etwa jede vierte Firma aus – obwohl es längst eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft gibt, genügend Ausbildungsplätze anzubieten.

Mit dem Pakt, der noch vor der Sommerpause des Bundestags unterschriftsreif sein soll, könnten die Betriebe nun noch ein Jahr an ihrem Lehrstellenangebot feilen – und die Regierung auf die Anwendung eines Gesetzes verzichten, das nicht nur von der Union als „Dilettantenstadl“ und den Unternehmern als „bürokratisches Monstrum“ betitelt, sondern auch innerhalb der SPD-Fraktion heftig kritisiert wird. Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) hat unlängst eine umfassende Mängelliste vorgelegt. So führe das Gesetz zu „großen Härten“ für Betriebe, die die zwar Lehrstellen anbieten, für diese aber keine geeigneten Bewerber finden. Außerdem verlagere sich die Ausbildung von den großen in die kleinen Betriebe, weil die Ausbildung in den Großbetrieben verhältnismäßig teuer ist und diese daher wenige, aber hoch qualifizierende Lehrstellen anbieten. Nicht zuletzt könne das Gesetz zu einer „Erhöhung von Arbeitslosigkeit“ beitragen, weil es keine entsprechend hohe Nachfrage nach ausgebildeten Arbeitskräften gebe.

Ein Problem immerhin wurde behoben: Das Bibb hatte davor gewarnt, dass die Abgabe zu mehr Arbeitslosigkeit führen könnte. Denn die nötige Anzahl der Azubis ergab sich ursprünglich aus der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Betriebe wären versucht gewesen, Arbeitsplätze in Minijobs umzuwandeln. Diese Gefahr ist nun berücksichtigt – jetzt zählen auch geringfügig Beschäftigte.

Der SPD-Abgeordnete Schmidt betonte gestern, das Gesetz werde auf jeden Fall angewendet, falls der Pakt nicht wirke: „Wenn das nicht funktioniert, wird und muss die Regierung das Gesetz auslösen.“

U. HERRMANN, A. LEHMANN,
A. SPANNBAUER