Antiamerikanische Stereotype und Verschwörungstheorien

Im arabischen Raum wächst die Wut auf die Besatzer des Irak. Medien sprechen vom „Empire des Teufels“, islamistische Fundamentalisten sehen sich bestärkt

BEIRUT taz ■ Das Maß ist voll. Mit der Veröffentlichung der Fotos von Misshandlungen irakischer Gefangenen im Bagdader Abu-Ghraib-Gefängnis haben die USA wohl ihre letzten Sympathien in der arabischen Welt verspielt. „Dieser Skandal“, heißt es in der libanesischen Tageszeitung al-Safir, „zeigt den Arabern, dass es Washington nicht um ihre Herzen und ihren Verstand geht.“

In Kairo veröffentlichte das Oppositionsblatt al-Wafd auf seiner Titelseite vier Fotos von Irakerinnen, die von US-Soldaten vergewaltigt worden sein sollen. Überschrift: „Die Demokratie des amerikanischen Empire des Teufels und der Prostitution: Massenvergewaltigungen von US-Soldaten an irakischen Frauen unter Waffenandrohung“.

Die ägyptische Menschenrechtsorganisation (EOHR) forderte ein internationales Tribunal, das die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht. „Diese Vorfälle sind ein Schock für Menschenrechtsaktivisten“, erklärte der Generalsekretär der EOHR. Schließlich habe man geglaubt, „dass sich Folter auf die Dritte Welt beschränkt“. Der sudanesische Außenminister sprach von „tiefer Trauer“, und die Tageszeitung al-Chalidsch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nannte die Misshandlungen „einen Ausdruck der Arroganz der amerikanischen Okkupationsarmee“.

Auch der demokratische US-Senator Joseph Biden Jr. aus Delaware meinte, die Vorfälle seien „der signifikanteste Rückschlag des letzten Jahrzehnts“ im Nahen Osten. Aufgrund der Ereignisse der letzten Monate im Irak war das Ansehen der USA und ihrer Truppen im arabischen Raum ohnehin schwer angeschlagen. Die Fotos nun verstärken antiamerikanische Stereotype.

Bei einer Demonstration in Beirut wurden die Misshandlungen im Irak mit denen in Palästina verglichen. Die iranische Zeitung Resalat kommentierte, die Vorgänge von Bagdad seien „ein Resultat des Einflusses der Zionisten auf die amerikanischen Besatzer“. Verschwörungstheorien dieser Art kursieren überall – in Verbindung mit Palästina und dem Irak ein besonders explosives Gemisch.

„Für den Irak sind die Enthüllungen eine Katastrophe“, erklärte Hussein Sinjari, Herausgeber der Wochenzeitung al-Ahali und der Tageszeitung Iraq Today und Präsident des „Irak-Instituts für Demokratie“, in Beirut. „Jetzt wird es für Liberale wie mich noch schwieriger, über Menschenrechte und Demokratie im Irak zu sprechen.“

Er selbst habe schon vor drei Monaten von dem Gefängnisskandal gewusst, aber die Veröffentlichung in seinen Zeitungen abgelehnt. Seine Begründung: „Man bekam einfach keine Stellungnahme von US-Stellen dazu.“ Doch der wichtigste Grund sei gewesen, dass er den Islamisten keine weiteren Argumente für ihren Antiamerikanismus habe liefern wollen. „Aber jetzt“, sagt Sinjari, „wo alles auf dem Tisch liegt, ist überall die alte Leier zu hören: Seht doch, die Amerikaner haben nichts zu bieten. Wir jedoch haben den Islam, der einzigartig und vollkommen ist.“

ALFRED HACKENSBERGER