Bush entdeckt sein Herz für die Alten

Eine Reform der staatlichen Krankenversicherung „Medicare“ soll Amerikaner, die älter als 65 Jahre sind, vor der Altersarmut bewahren. Sollte der Gesetzentwurf den Kongress passieren, wäre dies ein wichtiger politischer Sieg für das Weiße Haus

aus Washington MICHAEL STRECK

George W. Bush trat im Wahlkampf 2000 als „mitfühlender Konservativer“ auf. Als Präsident senkte er die Steuern für Reiche, hofierte die Großindustrie, weichte Umweltschutzstandards auf, führte Amerika in zwei Kriege und wurde zum Vollstrecker einer ultrarechten Agenda.

Will Bush die kommenden Wahlen gewinnen, muss er dieses Image ändern. Zu leicht macht er es den oppositionellen Demokraten, ihn als jemand zu porträtieren, der brennende soziale Fragen ignoriert. Seit zwei Wochen reist er daher durch das Land und wirbt vor Seniorengruppen für ein Projekt, dass ihm von der älteren Bevölkerung Stimmen bringen soll: die Reform der staatlichen Krankenversicherung für Rentner – seit Jahren debattiert, aus parteitaktischen Gründen nie verwirklicht, mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress nun jedoch durchsetzbar.

Die Absicherung gegen Risiken im Alter zählt zu den vordringlichsten sozialen Aufgaben in der US-Gesellschaft. Die Situation ist prekär, da jeder zweite Arbeitnehmer von seinem Unternehmen keine Pension erhält und bei Altersversorge und Krankenversicherung meist auf private Ersparnisse angewiesen ist. Die Beiträge für eine private Versicherung steigen. Eine Versicherung mit ausreichender Abdeckung ist kaum unter 5.000 Dollar jährlich zu haben. Die Kosten für Arztbesuche und Medikamente treiben viele Menschen in die Altersarmut.

Auf dem Prüfstand im Kongress steht die freiwillige staatliche Krankenversicherung „Medicare“ für Amerikaner über 65 Jahre, die sich keine Privatversicherung leisten können. 40 Millionen sind über dieses Programm versichert. Es deckt Arzt- und Klinikbesuche älterer Menschen ab. Medikamente müssen jedoch bislang selbst bezahlt werden – für viele oft unmöglich.

Ein riesiges Subventionsprogramm von 400 Milliarden Dollar soll Abhilfe schaffen. Eine Einigung zwischen Senat und Abgeordnetenhaus ist in Sicht. Noch wird an Details gefeilt, doch es wird davon ausgegangen, dass die Reform innerhalb von zwei Wochen unterschriftsreif auf Bushs Schreibtisch liegt.

Der Gesetzvorschlag enthält die Möglichkeit einer privaten Zusatzversicherung. Rentner müssten demnach 35 Dollar monatlich und 275 Dollar jährlich einzahlen, dafür übernimmt die Regierung 80 Prozent der Medikamentenkosten, maximal bis zu 4.500 Dollar. Patienten haben jedoch keine freie Wahl der Medikamente, sondern müssen auf einem speziellen Katalog preiswerter Arzneien zurückgreifen.

Dies wäre die umfangreichste Ausweitung des Programms in seiner 38-jährigen Geschichte, das Experten bislang als Erfolg bewerten. Ohne „Medicare“ würde die Hälfte der Senioren in den USA wohl nicht versichert sein. Zudem wurde die Armutsrate unter alten Menschen seit Einführung der staatlichen Hilfe von 29 auf 12 Prozent gesenkt.

Die Reform geht vielen Konservativen und Liberalen dennoch nicht weit genug, wenn auch in die jeweils andere Richtung. Republikaner sind unzufrieden, da „Medicare“ nicht ganz privatisiert wird. Manche Demokraten hatten versucht, höhere staatliche Beihilfen durchzusetzen. Nach Expertenmeinung trägt die Reform nicht lange. Die Baby-Boomer stehen kurz vor der Rente, Amerikaner leben länger, explodierende Kosten für Medikamente und Behandlungen drücken auf die Kasse. „Wir essen bereits den Nachtisch“, sagt Gesundheitsexperte Henry Aaron vom Brookings-Institute in Washington.

Dennoch will Bush das Gesetz aus wahltaktischen Gründen um jeden Preis. Sollten die Parlamentarier die Reform stemmen, wäre dies ein wichtiger politischer Sieg für das Weiße Haus. Es wäre auch ein Erfolg der moderaten Kräfte im Kongress. Bush gelänge, was Bill Clinton versagt blieb. Den Demokraten, die Zustimmung signalisiert haben, fehlt so ein entscheidenes Angriffsfeld im Wahlkampf. Doch Blockadepolitik dürften die Wählern noch weniger honorieren.