Lula bleibt auf neoliberalem Kurs

Brasiliens Zentralbank senkt die enormen Zinsen leicht. Doch das ist zu wenig, um die Angst vor einer Rezession zu dämpfen. Der sozialistische Präsident Lula wird mittlerweile sogar vom Unternehmerverband kritisiert. Nur der IWF ist zufrieden

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Zum ersten Mal seit elf Monaten senkte die brasilianische Zentralbank am Mittwoch den Leitzins – von 26,5 auf 26 Prozent. Doch wenn die Währungshüter gehofft hatten, damit den Kritikern des wirtschaftspolitischen Kurses von Präsident Lula da Silva den Wind aus den Segeln zu nehmen, sahen sie sich getäuscht: Der Chor der Unzufriedenen wird immer lauter.

Bei den Zinsen bündelt sich die Debatte um die brasilianische Wirtschaftspolitik wie in einem Brennglas. Finanzminister Antonio Palocci sieht in ihnen den zentralen Hebel, der es Brasilien erlaube, von einer „Periode der Anpassung zu einer Wachstumsphase überzugehen“. Durch die Hochzinspolitik der Zentralbank sei es gelungen, das Vertrauen der Finanzmärkte zu erlangen und die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Nach der Türkei bietet Brasilien dem Finanzkapital derzeit die höchsten Realzinsen.

In der Tat: Die monatelangen Turbulenzen, mit denen die Finanzmärkte im vergangenen Jahr den Aufstieg Lulas begleitet hatten, gehören der Vergangenheit an. Das Länderrisiko ist von 2.400 auf knapp 700 Basispunkte gefallen. Damit verdienen Investoren, die brasilianische Schuldentitel kaufen, immer noch 7 Prozent mehr mit US-Titeln. Die Landeswährung Real hat gegenüber dem Dollar deutlich zugelegt. Die Inflationsrate, zu Jahresbeginn bei über 20 Prozent, steigt nur noch minimal. In den kommenden zwölf Monaten soll sie weniger als 8 Prozent betragen – was die Regierung als Bestätigung ihres Kurses wertet.

Doch was ausländischen Anlegern und heimischen Banken weiterhin erkleckliche Gewinne beschert, droht die brasilianische Industrie zu ersticken: Im April wurde 4,2 Prozent weniger produziert als ein Jahr zuvor, die Reallöhne gingen sogar um 7,7 Prozent zurück. Zugleich schnellt die Arbeitslosigkeit auf neue Rekordhöhen. Unter solchen Bedingungen halten sich auch die ausländischen Investoren zurück: Im ersten Trimester 2003 flossen 58 Prozent weniger Direktinvestitionen nach Brasilien als 2002. Das kurzfristige Spekulationskapital hingegen verdreizehnfachte sich in denselben Vergleichszeiträumen.

„Es ist frustrierend“, sagt selbst der Chef des Industrieverbandes CNI, Armando Monteiro Neto. Wegen der geringen Inflation werde sich das „rezessive Szenario“ vertiefen. Auch Expräsident Fernando Henrique Cardoso hat sich in die Debatte eingeschaltet. Lula übertreibe bei seinem Beharren auf Stabilität, meint der Sozialdemokrat. Neben der Hochzinspolitik kritisierte er den verschärften Sparkurs. So hat sich Lula vorgenommen, während seiner gesamten Amtszeit einen Überschuss von 4,25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erwirtschaften, der komplett in den Schuldendienst fließt. Nun wisse er, wozu Lulas Arbeiterpartei PT an die Macht wollte, sagt Cardoso nicht ohne Süffisanz: „Um das zu tun, was ich schon getan habe.“

Finanzminister Palocci und Zentralbankchef Henrique Meirelles sind die Garanten dieser wirtschaftspolitischen Kontinuität neoliberalen Zuschnitts, die Lula für eine nicht näher terminierte „Übergangsphase“ für unvermeidlich hält. Großes Lob erhält er dafür vom Internationalen Währungsfonds und der internationalen Finanzpresse.

Manch einer erinnert sich dabei an die trockene Diagnose von George Soros. „Im modernen Globalkapitalismus wählen nicht die Brasilianer, sondern nur die Amerikaner“, hatte der Profispekulant vor einem Jahr behauptet. Damit dieses Diktum doch noch widerlegt wird, drängt eine breite Front von Gewerkschaftern bis hin zu Unternehmen immer lauter auf eine wirtschaftspolitische Wende.