Kubus im Straßenstaub

Aufgeräumt und nach geometrischen Grundformen sortiert ist die Ausstellung „Political/Minimal“ in den Kunst-Werken. Das Politische steckt jeweils im Detail – und bleibt doch oft Behauptung

VON DOMINIKUS MÜLLER

Wenn Kunst politisch werden will, wird es meist schwierig. Entweder sie verheddert sich in den Niederungen des Alltags und löst sich auf – im besten Falle mutiert sie zu Sozialarbeit, im schlechten Falle endet sie als eine ach so kritisch gemeinte Verschönerungsaktion im Stadtraum – oder sie dreht endlose, selbstreferenzielle Schleifen um die Paradigmen ihres eigenen Stattfindens im Kunstbetrieb.

In den Kunst-Werken in Berlin ist gerade eine von Klaus Biesenbach kuratierte Ausstellung zu sehen, die einen anderen Weg zu gehen versucht: Unter dem Titel „Political/Minimal“ kreuzt sie den politischen Anspruch von Kunst mit der schon kanonisierten formalen Strömung der Minimal Art. Neu ist die Frage nach dem politischen Gehalt der Minimal Art der 1960er-Jahre gewiss nicht. Die rein phänomenale Reduktion der Arbeiten von beispielsweise Donald Judd oder Carl Andre auf ein Set streng abstrahierter „spezifischer Objekte“, den Betrachter und den Raum, wurde weithin als Kritik an den hergebrachten Mythen der Kunst wie Autorschaft oder Geniekult verstanden. Doch Klaus Biesenbach geht es hier gar nicht um diese Frage. Entlang der beiden Termini ihres Titels „Political/Minimal“ sucht seine Ausstellung mit 32 Arbeiten nach der Schnittstelle von abstrahiert-reduzierter Formensprache und einer politisch-sozial formatierten Kunst. Es geht um den Kurzschluss eines bestimmten formalen Reservoirs – den einfachen universellen geometrischen Grundformen wie etwa Würfel, Quadrat, Kreis oder Kugel – mit konkreten gesellschaftlich relevanten Inhalten.

Und so lädt Biesenbach, Mitbegründer der Kunst-Werke und inzwischen Kurator am MoMA in New York, den strengen Formalismus, die radikale Anti-Narrativität und vor allem die strikte Kunstfeldimmanenz der Minimal Art hier wieder und wieder mit einem politisch-sozialen Anspruch aus der Welt jenseits der weißen Museumswände auf. Das geschieht in der Hoffnung, das Immanenzprinzip eines reinen und voll präsenten Objekts der Minimal Art auf politische Bedeutsamkeit hin zu transzendieren. Aus Frank Stellas tautologischer und für die Minimal Art paradigmatisch gewordener Formel „What you see is what you see“ wird im Katalog zur Ausstellung dann auch ein „More than one sees“.

Wirft man einen Blick in den aufgeräumten Ausstellungsraum, fällt sofort auf, dass viele der Arbeiten selbst ebenjenes Thema der Grenzüberschreitung aufnehmen: so findet sich etwa in Abel Abdessemeds wie auch in Mona Hatoums Beiträgen das Material Stacheldraht. Was zunächst wie einfache reduzierte Ringe an der Wand oder ein gleichmäßiger Kubus wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als abweisend und dornenbewehrt. Die im Material aufgehobenen Assoziationen verschieben den Fokus von einer streng geometrisch-formalen Abstraktion beider Arbeiten geradezu zwingend in die Schützengräben der Politik, hinein in die Grenzgebiete und Gefangenenlager dieser Welt – und damit über die Grenzen der Kunst hinaus.

Grenzen spielen auch eine Rolle im Hinblick auf jenen weißen Papierstapel, dem Felix Gonzalez Torres über seinen Titel „Untitled (Passport)“ den Status offizieller Papiere verleiht, oder bei den rostigen Tanks, die an der irakisch-türkischen Grenze zum Benzinschmuggel verwendet wurden, bevor sie vom Kollektiv xurban_collective in den Ausstellungsraum importiert wurden. Deren wahre Bedeutung erschließt sich erst über die Geschichte dahinter. Gleiches gilt für Teresa Margolles kleinen grauen Zementquader in der Mitte des Raumes. Erst über Titel und Werkangabe wird klar, um was es sich hier handelt: einen Fötus in einem Zementblock. Sofort ändert sich die gesamte Lesart dieser Arbeit.

Dabei reduziert diese Ausstellung aber den Minimal-Anteil zum bloß formalen Stichwortgeber, unter dem letztlich jegliche Kunst zusammengefasst werden kann, die sich einer halbwegs abstrahierten und klar-konzentrierten Formensprache bedient. Das Politische wird anschließend per geringfügiger Materialvariation – Stacheldraht statt Edelstahl – oder einfach per Zuschreibung in Titel und oder Werkbeschreibung eher aufgepfropft.

So bleibt die Ausstellung am Ende zwei Antworten schuldig: zum einen, was denn hier jenseits der – manchmal recht aufgesetzt oder gar reißerisch vorgetragenen – Referenzen auf eine Außenwelt außerhalb des White Cubes „politisch“ sein soll; zum anderen, was der Bezug auf die Minimal Art in diesem Setting über einen gewissen Abstraktionsgehalt der versammelten Arbeiten hinaus bedeuten kann.

Das perfekte Sinnbild für die hier vorgetragene Sisyphosarbeit findet sich in der Ausstellung dann auch direkt auf die Schwelle zwischen Innen- und Außenraum, im Eingangsbereich: Francis Alys’ Video „The Paradox of Praxis“ zeigt den Künstler, wie er stundenlang einen riesigen Eisblock durch die heißen Straßen von Mexiko City schiebt – so lange, bis nur noch eine kleine Pfütze auf dem schmutzigen Asphalt übrig ist. Die Neutralität und Klarheit des strengen klaren weißen Würfels verflüssigt sich im Straßendreck – und mit ihr die Kunst selbst.

„Sometimes making something leads to nothing“ heißt es hier dann auch lakonisch. Alys Arbeit weiß auf faszinierende Weise davon, die Ausstellung selbst verschluckt sich daran.

bis 25. Januar, Kunst-Werke, Auguststr. 69, Di.–So. 12–19, Do. 12–21 Uhr