Wir sind so!

CSD Nordwest in Oldenburg – oder:Die Homosexualisierung der Wollknäule

taz ■ Auf der Autofahrt nach Oldenburg bewundern Sabine und ich die Signaturen überall in Christines Wagen. Mit Edding haben Freunde meiner Kusine kleine Botschaften für die Nachwelt hinterlassen. An meinem Griff überm Fenster steht z.B. in weiß: „Wir sind soo! Hihi!“ Die beiden „o“s überlappen sich und wirken ungewollt wie zwei Eheringe, und im Radio sagt der Moderator gerade über Vitali Klitschko: „Er ist kein Mann, der ein Image hat. Er ist einfach so.“ Das wären schöne Leitsprüche für den diesjährigen CSD Nordwest gewesen. Das offizielle Motto lautet aber „Lebenslänglich LesBiSchwul“ und synthetisiert so morphologisch geschickt das vertretene Minderheitenspektrum.

Auf gutes Wetter hoffend lassen wir Sabines regenbogenfarbenen Riesenregenschirm im Kofferraum, und nachdem die 20 Paradewagen an uns vorbeigezogen sind, entscheiden wir uns, der Trommelgruppe Les Benitos aus Bielefeld zu folgen, die den Zug anführt. Die Parade schlängelt sich bald durch die verwinkelten Straßen der Oldenburger Innenstadt, hier und da neugierige Köpfe am Fenster, etwa die fünf Bauarbeiter, deren Gesichtsausdruck ich gerne gesehen hätte, als die Dragqueen mit dem riesigen rosafarbenen Tortenhut an ihnen vorbeigezogen ist. Ich verfolge die zunehmende Sensibilisierung und Schubladisierung meines Blickes: Welcher der Passanten ist stehen gebliebener Demonstrant, welcher nur staunender Einkäufer? Ein Geschäft wirbt mit regenbogenfarbenen Riesenregenschirmen, die wir nur zu gut wiedererkennen, und selbst die Farben der Wollknäule in der Auslage des Handarbeitengeschäftes, obgleich nicht in der richtigen Reihenfolge angeordnet, passen heute genau. Die beiden Rednerinnen auf der Abschlusskundgebung auf dem Schloßplatz bemühen sich auffällig um die korrekte Ansprache der Anwesenden. Aber weder „liebe Lesben und Schwule, sehr geehrte Damen und Herren“ (Oldenburgs stellvertretende Bürgermeisterin) noch „sehr geehrte lesbisch-schwule Damen und Herren“ (wer auch immer die Frau war, zu verstehen war sie kaum) trifft unseren Geschmack. Während die unsägliche Formation Duorotica singt, essen wir Pommes, als die Kusinen auftreten, tanzen wir ganz vorne an der Bühne mit, nicht nur weil der Bandname heute so schön passt. Der zuletzt nach eigenen Angaben angesäuselte Moderator kriegt nur noch zutreffend heraus: „Die Band haben‘s drauf.“ Auch bei der Party in der Weser-Ems-Halle wechselt die Musik zwischen Volltreffern und Ausfällen. Die peinlichen Animationsrufe vom DJ-Pult nach Kasperle-Manier: „Seid ihr alle da?“ können die Stimmung nicht beeinträchtigen und halten uns nicht vom Durchtanzen ab. Auf der Rückfahrt um 4 Uhr früh ist im Radio wieder Klitschko dran, und ich schreibe mit blauem Edding neben die Fensterkurbel: „Oldenburg rockt!“ Kristo Šagor