All das Elend im Kopf

Der Weltenretter Konstantin Wecker hat sich wieder zu Wort gemeldet. Und wie!

In Bagdad ist das Leben schön und wie geschaffen für den Meditationsfreak Wecker

Konstantin Wecker geht es „um nichts weniger als um unser aller gemeinsame Zukunft auf diesem Planeten.“ Drunter macht er es nicht, und das ist ein echtes Problem, weil Leute, die von einer solchen Mission durchdrungen sind, in der Regel große Nervensägen sind. Und als genau solch eine hat Wecker wieder auf sich aufmerksam gemacht mit seinem Buch „Tobe, zürne, misch dich ein!“, das schon im Titel drei merkwürdig orientierungslose Befehle enthält und außerdem einen grammatikalischen Fehler, weil Zürnen immer nach einem Objekt verlangt. So jedoch hört sich der Titel eher an wie ein Ratgeber für Menschen mit Tourette-Syndrom.

Als Bekennungssüchtiger gehört Wecker eigentlich einer Gattung an, die man unter Naturschutz stellen und in Ruhe lassen sollte, aber Wecker beweihräuchert sich selbst derart aufdringlich mit moralischer Gesinnung, dass man – übersetzt in die Wecker’sche Schaumsprache – nicht länger schweigen darf, denn sonst machte man sich mitschuldig am Elend dieser Welt.

Anfang Januar 2003 reiste Wecker in den Irak, nicht ohne dem Leser die Unmenschlichkeit zu ersparen, die ihm dieses Engagement abverlangt hat: „Meine Söhne haben so lange darauf gewartet. ‚Jetzt kannst du ja gar keinen Schneemann mit uns bauen.‘ Wie viel Zeit darf ich meinen Kindern nehmen, um diese Zeit fremden Kindern zu schenken?“ Mit dieser Grübelei im Gepäck und mit Friedensgruppen aus aller Welt will Wecker in Bagdad „ein Zeichen setzen“, und er schwört, „gegen diesen Krieg aufzustehen“, was allerdings eine recht einfache Übung zu sein scheint.

In Bagdad lassen sich Wecker und seine Freunde mit einem Regierungsbus herumfahren – „am Tigris entlang, vorbei an prächtigen Villen. Ich frage unseren Fahrer, wie es sein kann, dass es in diesen Zeiten, in diesem armen Land Leute so reich sind.“ Eine überraschende, geradezu investigative, wenn nicht sogar schonungslos banale Frage. Der Fahrer „überlegt lange und antwortet mit einem vielsagenden Lächeln: ‚That is a very difficult question!‘ “ Ah ja. Grandiose Antwort, meint Wecker, schließlich hatte er ja auch eine grandiose Frage gestellt: „Man muss zwischen den Zeilen lesen, wenn man die Stimmung über Saddam Hussein herausfinden will.“ Zwischen welchen Zeilen?

„Unmittelbar nach der Reise war ich kaum fähig, einen Morgen meditativ zu beginnen“, klagt Wecker später, und man möchte gar nicht wissen, was „einen Morgen meditativ beginnen“ bedeutet: ohne Kaffee und Ei? Lieber schwärmt Wecker für das einfache Leben in Bagdad: „Wir hier im Westen sind doch hoffnungslos überladen mit Unwichtigem – in Bagdad dagegen sah ich Leben, konzentriert aufs Wichtigste … Als ich wieder hier war, sehnte ich mich geradewegs zurück nach Bagdad.“ Und warum? „In Bagdad herrscht Handyverbot. … Und: Auf den Straßen wird man nicht von Werbung erschlagen.“ In Bagdad ist das Leben schön und wie geschaffen für einen Meditationsfreak. Schöner jedenfalls als in Weckers Münchner Arbeitszimmer, wo der Autor „den Gedanken nicht aus dem Kopf bekommt, wir … würden schon bald medial mit Krieg und Elend, Hunger und Tod überzogen werden.“ Das ist ganz schlimm, medial mit Krieg überzogen werden, schlimmer jedenfalls, als real mit Krieg überzogen zu werden wie in Bagdad. Wecker jedenfalls ist erschüttert und greift deshalb tief bewegt zum doppelten Konjunktiv: „Was wäre, stünden wir selber kurz vor einer Bombardierung?“ Tun wir aber nicht, was Wecker nicht davon abhält, aus einer von ihm insinuierten Kriegssituation in Deutschland moralisch Honig zu saugen. Wieder müssen seine armen Kinder dafür herhalten: „Würde ich noch eine Sekunde meine Kinder aus dem Arm lassen?“ Tja, das sind genau jene weltbewegenden Fragen, auf denen sich umso genussvoller herumkauen lässt, je weniger es dazu einen Anlass gibt.

Seit sieben Jahren schon meditiert Wecker und sucht „den Weg zum Selbst“, und man fragt sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Wecker seinen Restverstand verkokst hätte, statt seine Kinder meditativ und medial zu missbrauchen: „Heute hat mir mein Sohn Valentin ein kostbares Geschenk gemacht: ‚Papa, ich hab dich so lieb, ich möchte, dass du nie stirbst. Und ich möchte, dass alle Menschen so aussehen wie du …‘ “ Nein, bitte nicht! Was für eine Horrorvorstellung: Überall blickt dich Konstantin Wecker an! Das wäre glatt ein Grund, sich aus diesem Leben zu verabschieden.

KLAUS BITTERMANN

Konstantin Wecker: „Tobe, zürne, misch dich ein!“. Berlin, Eulenspiegel Verlag 2003, 224 Seiten, 12,90 EUR