krankes berlin
: Abschied von der Verantwortung

Armut macht krank. Das ist nichts Neues, neu sind jedoch die Zahlen, die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner gestern vorgelegt hat. In Friedrichshain-Kreuzberg ist das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, 30 Prozent höher als im Schnitt, in Zehlendorf dagegen 20 Prozent geringer.

Kommentar von UWE RADA

Vor diesem Hintergrund an die Eigenverantwortlichkeit der Raucher und Trinker zu appellieren, ist sicher richtig. Dabei stehen zu bleiben, wäre allerdings fatal, würde es doch eben jene Erkenntnis in Zweifel ziehen, dass Krankheit, zu der auch die Suchtkrankheiten gehören, nicht nur eine Frage des eigenen Risikos ist, sondern auch mit dem sozialen Umfeld, mit Arbeitslosigkeit und mangelnden Perspektiven zu tun hat.

Vor diesem Hintergrund passt der alleinige Appell von Knake-Werner an die Verantwortung des Einzelnen gut zur derzeitigen Debatte um die Gesundheitsreform. Zur Privatisierung des Leistungskatalogs der Krankenkassen kommt nun auch noch die Privatisierung der Schuld.

Dabei wäre in beiden Fällen das genaue Gegenteil nötig: eine neue Kultur der Vergesellschaftung. Zu der gehörte die Mitverantwortung bestimmter „Risikogruppen“ wie Raucher und Extremsportler ebenso wie der Faktor Bildung. Denn jeder Euro, den man den Schulen und Kindertagesstätten und Ausbildungsprojekten nimmt, wird früher oder später, auch das belegt die Gleichung Armut macht krank, im Gesundheitswesen zu Buche schlagen.

Die Debatte in eine solche Richtung anzustoßen, hätten die neuen Zahlen eigentlich nahe gelegt. Doch das scheint derzeit nicht möglich. Armes Berlin, arme Politik.