Nicht jeder Terror ist von al-Qaida

Ein Jahr nach den Touristenentführungen in der Sahara-Wüste jagen Militärs aus den USA und Algerien mutmaßliche Islamisten quer durch die Region. In den Tourismusgebieten der Tuareg-Nomaden in Niger führt das zu Unmut

Millionen Dollar gehen in Sicherheit, Entwicklungshilfe wird jedoch gekürzt

AUS NIAMEY SANDRA VAN EDIG

Im Hotel Sahel in Niamey, der Hauptstadt der Republik Niger, sind die Tische auf der Terrasse voll besetzt. Eine französische Reisegruppe wartet auf ihren Abflug und genießt beim Sonnenuntergang den Blick über den Nigerfluss. Souvenirhändler belagern die Touristen, bieten noch eine Kette oder den Bildband zur Sahara an. Die Touristen sind entspannt nach zwei Wochen Teneré-Wüste. Sie haben die Hitze ertragen, den Sand geschmeckt und Tuaregnomaden getroffen. Sie haben sich indigoblaue Turbane gekauft. Und sie haben auch die Ängste ausgestanden, in die Hand von Banditen oder Entführern zu geraten. „Ein Glück ist ja alles gut gegangen,“ seufzt Nathalie. Nach den Sahara-Entführungen vor einem Jahr war ihre Familie wenig begeistert, als die 50-Jährige ihre Reise in die nigrische Wüste plante.

Überfälle im Norden Nigers sind aber keine neue Erscheinung. Schon 1991 brach hier eine Rebellion der Tuareg aus, und spätestens seitdem waren Übergriffe auf Autokonvois alltäglich. Diese richteten sich meist gegen Hilfsorganisationen. Die Rebellen brauchten Geländewagen. Auch nach dem Ende der Rebellion 1995 gingen die Übergriffe weiter. Ohne politische Motivation entpuppte sich der Autoklau als lukratives Geschäft für manchen arbeitslosen Exrebellen. Im Niger, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, haben Jugendliche wenig Perspektiven. Die Situation der Nomaden hat sich in den letzten zwanzig Jahren durch wiederkehrende Dürren immer mehr verschlechtert. Viele sind vollkommen verarmt. Manche Jugendliche machen einen Führerschein und hoffen auf einen Posten als Fahrer bei einer Hilfsorganisation oder in der Tourismusbranche. Wer Geld hat, kauft ein Fahrzeug.

In Agadez, der regionalen Hauptstadt der nördlichen Wüstenregion Nigers, gibt es seit dem Ende der Rebellion über 70 Tourismusagenturen. Die Konkurrenz ist hart, die alten Rebellenfronten haben das Terrain nun als Tourismusagenturen unter sich aufgeteilt. Der Umgang miteinander ist nicht immer fein: Es gibt Koalitionen, Brüche, Feindschaften und Racheaktionen. Große Agenturen arbeiten direkt mit Veranstaltern in Europa zusammen und schalten Kleinanbieter mit Dumpingpreisen bis zu 40 Prozent unter dem ortsüblichen Tarif aus. Das schafft Konflikte. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Überfällen auf die Konvois der großen Agenturen. Hundertprozentig sicher ist die Wüste eben nicht.

Hamadei Yaya, Direktor einer nigrischen Nichtregierungsorganisation, nimmt die Situation eher gelassen. Es habe in diesem Jahr nicht mehr Überfälle als in den letzten Jahren gegeben. Allerdings wäre mit dem letzten Überfall in der Teneré-Wüste im Februar eine neue Form aufgetreten: „Die überfallenen Touristen wurden stundenlang verhört, belehrt. Man sprach über den Kopftuchstreit in Frankreich, über religiöse Themen.“ Für die meisten war das Indiz genug für eine islamistische Gruppe. Die Täter seien keine lokalen Tuareg gewissen, sondern Algerier, Araber oder Haussa aus Nigeria. Im März wurden sie von Nigers Armee – vermutlich mit US-Unterstützung – quer durch die Wüste bis nach Tschad gejagt, wo sie bereits die dortige Armee erwartete: Es gab 37 Tote und drei Gefangene. Nun bewegen sich im Nordwesten Nigers an der Grenze zu Mali US-Truppen, ausgerüstet mit Drohnen, Fahrzeugen, Waffen. Das sorgt für Unruhe in der Bevölkerung.

Touristen werden jetzt beim Überfall über den Kopftuchstreit in Frankreich belehrt

Kaum einer kennt die Wüste besser als Attaher, ein 50-jähriger Targi aus Agadez. Er hat Verbindungen nach Mali, Algerien und Mauretanien. In den 90er-Jahren war er enger Vertrauter des Rebellenführers Mano Dayak. Er ist wenig überzeugt von der Islamistentheorie. In seinen Augen sind die Entführungen in Algerien vom letzten Jahr genauso wie der letzte Überfall in der Teneré Inszenierungen des algerischen Militärs: „Das algerische Militär bekommt viel Geld von den Amerikanern für den Kampf gegen den Terrorismus. Das ist nicht uninteressant für sie. Der Kampf gegen Terroristen erlaubt ihnen unkontrollierten Grenzübertritt nach Niger, nach Mali. Das nutzen sie, um das Territorium zu kontrollieren.“ Attaher verweist darauf, dass viele algerische Militärs in den Zigarettenschmuggel durch die Wüste verstrickt seien: „Sie haben ein direktes Interesse, den Verkehr der Güter dort zu erleichtern. Der Kampf gegen den Terrorismus dient da als schöne Etikette.“

Ob Gotteskrieger, frustrierte Exrebellen oder Zigarettenschmuggler – Banditen in der Sahara haben viele Gesichter. Exrebell Attaher warnt davor, von nun an alle Überfälle über einen Kamm zu scheren und mit Antiterror-Mitteln oder US-Militär lösen zu wollen. „Alle reden von Sicherheit, doch Sicherheit für wen? Da gehen Millionen von Dollar in die Sicherheit, während die einheimische Bevölkerung an Hunger leidet, keine Brunnen, keine Schulen, keine Krankenstationen hat! Es ist doch traurig, dass hohe Summen Antiterror-Gelder aus den westlichen Staaten in die kritischen Regionen fließen, während Entwicklungshilfe überall gekürzt wird.“

Es gibt in Niger auch innenpolitisches Konfliktpotenzial, das mit dem „Terror“ nichts zu tun hat – aber in eine solche Richtung führen kann. Ende Mai stehen Kommunalwahlen an. In Tschiozerine, einer Stadt im Norden, wurde beim Streit um Listenplätze ein Kommunalpolitiker ermordet. Tourismusminister Rhissa Ag Boula wurde unter Mordverdacht verhaftet, da es um seinen Wahlkreis ging.