Interventionen im Imaginären

Die Fotos aus Abu Ghraib haben das metaphorische Bild eines „gerechten“ Krieges zerstört. Sie liefern radikalen Islamisten eine Illustration ihrer Predigten. Beide Seiten haben jetzt ihre Albträume bebildert

Bilder wirken über Imaginationen. Deshalb können sie für einen Kriegsverlauf entscheidend sein – man erinnere sich an Vietnam. Im Irak ist jetzt der besondere Fall eingetreten, dass beide Kriegsparteien den Albtraum des Feindes bebildern. Die obszönen Fotos aus Abu Ghraib zerstören die Vorstellung, man führe einen „gerechten“ Krieg, der eine gute Sache „sauber“ vertritt. Diese Illusion, es gäbe eine Metaposition, eine Position, in der man sich die Hände nicht schmutzig machen könnte, ist endgültig vorbei.

Die Bilder aus Abu Ghraib sind gewissermaßen „Antworten“ auf andere Bilder – auf jene aus Falludscha nämlich. Zur Erinnerung: In dieser Stadt haben aufständische Iraker vier angebliche amerikanische Geschäftsleute, die später als Aufbauhelfer deklariert wurden, aber eigentlich Söldner in amerikanischen Diensten waren, umgebracht. Danach haben sie die Leichen durch die Stadt geschleift, zerhackt, Teile der Körper verbrannt und die Reste unter dem Jubel der Menge auf einer Brücke aufgespießt. Peinigende Bilder. Die Grausamkeit gegenüber Leichen ist deshalb so grausam, weil den Opfern der Status des Menschen verweigert wird. Raserei gegen Leichen ist barbarisch: Sie anerkennt nicht einmal die minimalste existenzielle Gemeinsamkeit, sie hält den Status des absoluten Feindes aufrecht – über den Tod hinaus. In den Bildern von Falludscha wurden die Albträume des Westens wahr: Die schlimmsten Vorstellungen, die man vom Orient hatte, erhielten hier ihre realen Bilder.

Die Aufnahmen, die nun von Abu Ghraib um die Welt gehen, sind Bilder einer spezifischen Grausamkeit. Die Spuren von demütigenden Sexualpraktiken, erzwungener Zurschaustellung von Nacktheit usw. sind in mehrfacher Hinsicht „neu“. Neu ist, dass die US-Armee den Skandal selber aufdeckte. Neu ist, dass Frauen hier als Täter auftreten. Neu ist, dass es Bilder einer Willkür sind, die man bislang nur in ihrem abstrakten juridischen Aspekt in Guantanamo Bay kannte. (Insofern ist die Tatsache, dass gerade jetzt Geoffrey Miller, der ehemalige Leiter von Guantanamo Bay, zum neuen Chef aller irakischen Gefängnisse wurde, äußerst zynisch.)

Aber das Entscheidende, was diese Bilder über das übliche Unglaubliche hinaus so brisant macht, ist: In den Fotos von Abu Ghraib werden die schrecklichsten Albträume des Orients wahr. Sie zeigen eine Fratze des Westens, wie sie kein Islamist erschreckender zeichnen könnte. Sie zeigen sexuelle Freiheit als gewalttätige sexuelle Entartung in billigster Inszenierung (noch dazu unter Mitwirkung von Frauen). Sie enthüllen genau jene Kehrseite des liberalen Westens, die al-Qaida als dessen eigentliches Gesicht immer schon beschworen hat. Der „Westen“ liefert nunmehr ein Bild von sich, das Islamisten bislang nur predigen konnten. Die schlimmsten Vorstellungen, die der Islam vom Westen hatte, erhielten hier ihre realen Bilder. Als solche sind sie wirksam – da mag George Bush noch so sehr bekräftigen, Amerikaner täten so etwas nicht. Als Albtraumbilder des Feindes könnten sie sich letztlich als kriegsentscheidend erweisen. ISOLDE CHARIM