Über der Regenbogennation

Während der Zeit des Apartheid-Regimes wurde das Bild der südafrikanischen Musik von Künstlern im Exil geprägt. Doch auch im Land selbst war Musik ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Unterdrückung der Mehrheit

Der Anlass war angemessen, der Rahmen feierlich, das Aufgebot gewaltig. 400 Musiker, Tänzer, Dichter und Schauspieler fanden sich am 27. April in Pretoria vor 40.000 Zuschauern zusammen, um zehn Jahre Demokratie in Südafrika mit Lesungen, Theater und Musik zu feiern. Hier standen sie nun symbolkräftig auf ein und derselben Bühne: Vergangenheit und Gegenwart Südafrikas, Schwarz und Weiß, Jazz und Kwaito, Gospel und HipHop und traditionelle Musik.

Nun gehörten sie endgültig zusammen, miteinander verbunden durchs Protokoll, die so unterschiedlichen Pole der südafrikanischen Musik: eine Miriam Makeba, die dreißig Jahre im Exil für die Rechte der schwarzen Bevölkerungsmehrheit kämpfte und zur Repräsentantin der Regenbogennation im Ausland aufstieg, und der Kwaito-Star und Bürgerschreck Mzekezeke, der stets mit einer Maske auftritt und mit seiner Karikatur eines Township-Dialekts ein eigentlich nur in Südafrika verständliches Phänomen ist.

Musik ist einerseits Spiegelbild der Gesellschaft, in der sie entsteht. Sie kann andererseits aber auch – mehr noch als andere Kunstformen – Werkzeug sein, diese auch zu verändern. Das Ende der Apartheid wäre, glaubt man der beeindruckenden und preisgekrönten Dokumentation „Amandla!“ über die südafrikanische „Musik der Befreiung“, ohne die Musik nicht möglich gewesen. Zugleich hat sich die Musikszene Südafrikas nach der Demokratisierung grundsätzlich gewandelt.

In „Amandla!“ beschreibt Filmemacher Lee Hirsch, wie der Gesang zur Kommunikation zwischen den Widerständlern, zur seelischen Aufrichtung in Gefangenschaft und schließlich zur Einschüchterung der Schergen des Regimes diente. Während die berühmtesten und talentiertesten Musiker verstummten, umgebracht wurden oder ins Exil gehen mussten, entstand durch die Unterdrückung eine Musik, die sich nicht auf den Genius eines Einzelnen stützte, sondern auf die Kreativität der Masse.

Die Songs schrieben sich auf Zusammenkünften und bei Demonstrationen wie von selbst, jede Zeile im Call and Response spontan neu ergänzt von einem anderen Sänger und gleichzeitig sofort vom Chor bestätigt oder abgelehnt. Die so entstandenen Stücke hatten keinen Autor, hatten aber bereits ihr populäres Potenzial unter Beweis gestellt.

Dagegen wurde das Bild von der südafrikanischen Musik im Rest der Welt geprägt von einzelnen Namen. Allen voran Miriam Makeba, die nur wenige Wochen brauchte, um 1960 New York zu erobern, aber anschließend vom Regime nicht mehr in ihre Heimat zurückgelassen wurde. Vor allem der so genannte afrikanische Jazz mit Protagonisten wie Hugh Masekela und Dollar Brand, der sich später Abdullah Ibrahim nannte, hatte Erfolg im Ausland – und das, lange bevor die Ethno-Musik ein eigenes Fach im Plattenladen bekam.

Ein wichtiger Ausgangspunkt, der erste große kommerzielle Erfolg der Weltmusik-Welle, war Paul Simons Album „Graceland“. Was warf man ihm nicht alles vor, als das Album 1986 erschien: den Kulturboykott durchbrochen zu haben und ursprüngliche Musik imperialistisch auszubeuten. Tatsächlich aber gab Simon zielsicher genau der Musik eine Plattform, die das Apartheid-Regierung zwar nicht ausdrücklich verfolgte, aber ihr doch per Radioverbot und einer blütenweißen Plattenindustrie systematisch jede weitere Ausbreitung verwehrte.

Tatsächlich förderte das Regime bis zu einem gewissen Grad sogar, was es für traditionelle Musik hielt, weil man damit die Unterschiede zwischen den Rassen stärken wollte. Auch der religiöse Gospel wurde geduldet, wenn er sich neutral verhielt. Interessante musikalische Entwicklungen aber fanden nahezu ausschließlich im Untergrund statt, während das weltweite Bild, was ein südafrikanischer Sound sei, von den Exilanten geprägt wurde.

Dies änderte sich grundlegend nach der Freilassung Nelson Mandelas und nach den ersten Reformen. Die meisten Exilanten kehrten 1990 zurück und wurden als Nationalhelden begrüßt. Ihr musikalischer Einfluss aber blieb marginal. Stattdessen wurde adaptiert, was wie HipHop bis dahin verboten war, und vor allem Kwaito wurde zum Signatur-Sound des neuen Südafrika. Die verlangsamten House-Beats reflektierten die Urbanität der schwarzen Bevölkerung, die Fähigkeit, alle denkbaren Stile zu integrieren, die gesellschaftliche Öffnung.

Miriam Makeba war bei den kürzlichen South African Music Awards (Sama) als „Best Female Artist“ und ihr letztes Album „Reflections“ für zwei weitere Preise nominiert. Dem Großteil der stetig wachsenden Bevölkerung, den Jugendlichen in den Townships, ist ihr Name genau wie der eines Masekela aber nur mehr Symbol für einen Kampf, den immer mehr von ihnen nicht mehr aus eigener Anschauung kennen.

Ihre Helden sind die Stars des Kwaito, die – ähnlich ihren US-amerikanischen Entsprechungen, den HipHop-Stars – einerseits zwar die Aufstiegsmöglichkeiten in der neuen Gesellschaftsordnung vorleben, andererseits aber halt auch ein Klischeebild vom schnellen Reichtum verkaufen. In ihrer Unterschiedlichkeit repräsentieren sie alle das neue Südafrika und seine in den letzten zehn Jahren gewachsene Pluralität.

THOMAS WINKLER

Der Dokumentarfilm „Amandla!“ wird am 28. Mai im Rahmen des Afrika-Festivals in Würzburg gezeigt