Walle‘s got the Blues

Wer in die Kneipe geht, weiß, wer in die Kneipe geht: Eine soziokulturhistorische Walle-Performance

Zum Bier gibt’s Chips aus weißen Suppentellern, und sie spielen auch die richtige Musik, meistens. Und selbst wenn Alex den kostenlosen Kicker abgebaut hat – das „Hart Backbord“ ist immer noch die beste Kneipe der Welt. Zumindest für manche. Andere Waller werden das eher vom „Karo“ sagen. Oder vom „Dumkowski II“. Je nachdem.

Aber darauf kommt’s auch gar nicht an: Hauptsache, wer in die Kneipe an der Ecke geht weiß, wer sonst noch so in die Kneipe an der Ecke geht: da trifft er nämlich die, die er zufällig gern treffen mag. Und die, die dazu passen: Irgendjemand ist jedenfalls immer da, den man kennt.

Irgend jemand ist immer da, den man kennt, – das Theken-Zeit-Zeugen-Zitat bringt’s auf den Punkt. Aufgezeichnet hat es Frauke Wilhelm im Auftrag des Brodelpott-Archivs. Und sie hat es gleich noch zum Titel gemacht des ersten Abends in der Arbeitnehmerkammer-Reihe Walle Blues, die sich der minder edlen Gastronomie in West-Bremen widmet. Thema des ersten Abends: Die Waller Eckkneipe von 1930 bis heute. Worüber sich auch eine Dissertation schreiben ließe. Aber die Stadtteilgeschichte kommt sehr gut ohne manuskriptbügelnde Referenten klar und braucht sich nicht das Leben vom Leib zu halten.

Im Gegenteil: Das „Hart Backbord“ liegt mitten in Bremens wahrem, leicht sklerotischem Herzen, also Walle. Und es ist rappelvoll. Gekommen ist die Nachbarschaft: „Hallo Margot!“ ruft’s aus den Stuhlreihen, „och, Hannelore!“ antwortet’s überrascht vom Hintereingang. Winken, Drängeln, Handschlag. Man kennt nicht jeden. Aber irgendjemanden findet man immer, um beim Frischgezapften zu kommentieren, was gerade so los ist in good ol’ Walle.

Im „Hart Backbord“ ist erst einmal Live-Musik los, nämlich: Frauke Wilhelm singt zu jeder Dekade einen passenden Chanson, begleitet von Thomas Milowski und Peter Apel. Außerdem gibt’s einen Expertentalk. Der Soziologe Thomas Krämer-Badoni hat in den 80ern mit dem unlängst verstorbenen Franz Dröge Die Kneipe und ihre soziale Funktion analysiert, kann aber trotzdem noch drüber reden. Und mimt verschmitzt auch mal den Doctor subtilis: „Nun, ja“, sagt er zu Frauke Wilhelm, und grient ein bisschen: „Ich will mal sagen, das mit der Spießigkeit…“ – die hatte sie nämlich den 50er-Jahren salopp unterstellt – „Also ich habe erlebt, dass so etwas auf einen selbst zurückfällt.“ Spricht’s, hält das Glas in die Runde – und trinkt. Beim akademischen Kolloquium hätte er das wohl nur gemurmelt. In der Kneipe lässt sich die Frotzelei locker wegspülen.

Auf die Thesen und ihre Standfestigkeit kommt es gar nicht so sehr an. Wichtiger sind die an die Wand projizierten historischen Fotos, Erinnerungsspiegel und Lebensbeweise. Und noch viel wichtiger: Die Döntjes, die vom Band kommen. Die sind, solange sie in der Kneipe erzählt werden, immer wahr. Subjektiv wahr: Ja in den 70ern, da haben begeisterte Sozialpädagogen hochpolitische Kneipen eröffnet. Und noch darauf geachtet, dass sich die Leute nicht sinnlos abfüllen, sondern brav beim Alster die Weltrevolution vorantreiben, ja damals… Good grief, Walle’s got the blues: Zum Glück mitgeschnitten und beim Brodelpott bald als DVD erhältlich. bes