„Wir sollten ihren Willen brechen“

In Iraks Gefängnissen herrschen unhaltbare Zustände. Dies belegt die Aussage einer angeklagten Soldatin. Rumsfeld will davon spät erfahren haben

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Es gehört zu den ermutigenden Momenten der amerikanischen Demokratie, dass die parlamentarischen Kontrollmechanismen schnell arbeiten. Eine Woche nachdem die Foltermethoden in irakischen Gefängnissen öffentlich wurden, zitierte der Streitkräfteausschuss den in der militärischen Kommandostruktur letztlich verantwortlichen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld in den Kongress. Die Parlamentarier, viele von ihnen fordern seinen Rücktritt, machten mit scharfen Erklärungen und bissigen Fragen ihrem Ärger Luft.

Der Auftritt zwang Rumsfeld in seine bisher unangenehmste Rolle. Einer, der anzugreifen, auszuteilen und Porzellan zu zerschlagen gewohnt ist, musste Demut zeigen. Die schnörkellose Entschuldigung passte noch ins Bild seiner unverblümten Sprache. Doch als sich der mächtige Minister als machtloser Boss, der selbst Opfer der Militärbürokratie wurde, darzustellen versuchte, traute die Zuhörer ihren Ohren nicht. Bis einen Tag vor der Anhörung habe er keine Kopie der CD mit den Folterfotos erhalten, klagte der kontrollwütige Rumsfeld, der im Pentagon ein strenges Regime führt. So resümierte die New York Times denn auch: „Wenn Rumsfeld am Freitag versucht hat zu erklären, warum er im Amt bleiben soll, hat er versagt.“

Wer wusste was wann?

Ein Großteil der Anhörung drehte sich um die Fragen „Wer wusste was wann?“ und „Welche Konsequenzen wurden gezogen?“ Demnach wurde Rumsfeld bereits im Januar informiert. Er will nach eigenen Aussagen Bush wenige Tage später persönlich über die Foltervorwürfe und die eingeleitete Untersuchung unterrichtet haben. Der Sprecher des Weißen Hauses sagte jedoch, Bush könne sich nicht daran erinnern, wann er von Rumsfeld informiert wurde. Bush selbst gab an, von den Vorfällen erst aus den Medien erfahren zu haben. Dieser Widerspruch ist mehr als unangenehm für das Weiße Haus, da die Opposition Bush nun Führungsschwäche vorwerfen kann.

Es war ausgerechnet ein Republikaner, John McCain, der Rumsfeld mit der einfachen Frage „Wer war für die Verhöre verantwortlich, und was waren Ihre Anweisungen?“ am stärksten in die Bredouille brachte. Als Rumsfeld – hilfesuchende Blicke mit den drei neben ihm sitzenden Generälen austauschend – um eine Antwort rang, legte McCain nach: „Sie können diese Frage nicht beantworten.“ Alle vier beharrten darauf, dass die Misshandlungen keine systematische Methode zur Aussageerpressung darstellten. Es handle sich eher um „wenige Verantwortliche“ und „individuelles Versagen“. Dem widerspricht jedoch der mittlerweile allgemein bekannte Untersuchungsbericht von General Antonio Taguba. Dieser nannte die Fälle „weit reichend“ und sprach von einem „organisierten Prozess“.

Dies unterstreichen die Aussagen von Sabrina Harman, einer der bislang sieben angeklagten Militärpolizisten von Abu Ghraib, die am Wochenende öffentlich Stellung nahm. „Unsere Aufgabe war es, den Willen der Gefangenen für Verhöre zu brechen“, schrieb sie in einer E-Mail an die Washington Post. Das Gefängnis sei chaotisch geführt worden, Regeln für Verhöre und vorbereitendes Training habe es nicht gegeben. Die Häftlinge seien ihrer Polizeieinheit vom Militärgeheimdienst und CIA-Mitarbeitern übergeben worden. Diese hätten auch bestimmt, welche „Behandlung“ ihnen jeweils zukommen solle. Harmans Aussage deckt sich mit Berichten des Roten Kreuzes, die bereits 2003 auf systematische Menschenrechtsverletzungen in US-Gefangenenlagern hingewiesen hatten. Die bisher bekannt gewordenen 25 Todesfälle von Häftlingen in irakischen und afghanischen Gefängnissen sind dafür trauriges Zeugnis.

Angesichts dieser Befunde nannte die Washington Post Rumsfelds Erklärungsversuche „unzulänglich“. Sie wirft ihm vor, mit seiner Ablehnung der Genfer Konvention und als Advokat des Internierungslagers Guantánamo ein politisches Klima geschaffen zu haben, das Missstände in den Gefängnissen erst ermöglichte. Rumsfeld behauptete zwar, die Wächter in Abu Ghraib seien unterrichtet worden, die Gefangenen gemäß den Richtlinien der Genfer Konvention zu behandeln, doch im Taguba-Bericht steht, dass solche Unterweisungen nicht stattgefunden hätten.

Bush in der Schusslinie

Das Unterlassen liegt in der Logik der Bush-Regierung. Nach dem 11. September erklärte sie eben jene Konvention für überholt und Gefangene per Dekret zu „feindlichen Kämpfern“, denen eine Behandlung nach internationalem Recht nicht zustehe. Für diese Entscheidung machte Rumsfeld jedoch Bush verantwortlich. Der habe entschieden, dass mutmaßliche Terroristen nicht nach den Regeln der Genfer Konvention behandelt werden müssen – damit lag der Ball erneut beim Präsidenten, dessen Berater ihn so gern aus der Schusslinie des Folterskandals ziehen möchten.

Wie verhängnisvoll die willkürlich zusammengezimmerte Philosophie der US-Regierung ist, wird bei der Frage deutlich, wer Terrorist und wer Kriegsgefangener ist. Die Kategorie „feindliche Kämpfer“ würde vornehmlich auf Häftlinge in Afghanistan angewandt, meinte Rumsfeld. Auf diese treffe die Bezeichnung Terrorist eher zu. Im Irak dagegen hätte man es mit „klassischen“ Kriegsgefangenen zu tun, die selbstredend der Genfer Konvention unterlägen. Laut George W. Bush sei der Irak doch mittlerweile „wichtiges Schlachtfeld“ im Antiterrorkampf, wurde ihm entgegnet. Da schwieg auch Rumsfeld.