Wie man auf dem Po rutscht

Mit einer künstlerisch wertvollen Video-Dokumentation wirbt der Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen für den Erhalt der integrativen Einrichtungen. Der ist durch Sparmaßnahmen massiv gefährdet

In der „Bärengruppe“ des Kindergartens spielen neben „Normalo-Kids“ auch Jan und Erich. Beide haben dieselbe Krankheit: Ihre Knochen brechen extrem schnell und heilen schlecht. Doch ganz selbstverständlich und ganz schön schnell düst Erich, fünf Jahre alt, im Rollstuhl, auf dem Dreirad oder einfach auf dem Po durch den Kindergarten. Das finden die anderen Kinder der Gruppe interessant: Sie wollen sich auch mal auf dem Po fortbewegen. Das ist aber gar nicht so einfach.

Die Video-Dokumentation „Wann kommen denn endlich die behinderten Kinder?“ zeigt das Zusammenspiel von Kindern mit und ohne Behinderung im evangelischen Kindergarten St. Georg. Und sie zeigt, dass beide Seiten von dem Modell profitieren. Jan etwa hatte früher nicht so viel Lust mühsam das Laufen zu üben.

In der Bärengruppe aber sieht er, wie die anderen Kinder etwas vom Regal nehmen oder schnell zum Fenster laufen. Das motiviert ihn fürs Training mit der knallgelben Gehhilfe. Umgekehrt sei es „für zappelbeinige Kinder total gut, wenn sie mit Erich in Kontakt sind“, erzählt Dunja Weidemann. Jenem Erich, der die Glasknochenkrankheit hat: Da müssten sie konzentriert und vorsichtig sein. „Sogar beim Toben macht Erich mit.“

Bei den Dreharbeiten war auch das Kamerateam voll integriert. Es filmt aus der Kinder-Perspektive und scheint sich, wie Erich, auf dem Po fortbewegt zu haben. Unterlegt mit Wolfsheim-Sänger Wolfgang Heppens eindringlichem Soundtrack baut Jan im Zeitraffer ein Zelt und schlüpft hinein: Die physiotherapeutische Aufgabe wirkt wie ein Videoclip.

Jan und Erich werden von speziell ausgebildeten Erzieherinnen und Therapeutinnen betreut. So wie alle 480 behinderten der 4.000 Kinder in Bremens evangelischen Tagesstätten. Diesen integrativen Ansatz, das so genannte Bremer Modell, gibt es seit 20 Jahren. Ohne das begleitende Fachpersonal aber drohe „Beliebigkeit Einzug zu halten“ befürchtet Georg Feuser. In der würde dann „Wurstelei als Integration bezeichnet“, so der Professor für Behindertenpädagogik weiter. Aber Personal ist teuer – also wird an Personal gespart. Was im Klartext heißt: Aufgrund empfindlicher Einschnitte bei der Finanzierung ist das Modell in Gefahr.

Auf anrührende Weise zeigt der Film, was dadurch verloren ginge. Dazu gehört etwa der Umgang der anderen Kinder mit Jan und Erich. Anfangs hatten sie die beiden nicht berühren und ihre Rollstühle nicht schieben dürfen. „Diese Zärtlichkeit, die muss man erst spüren“, sagt Erichs Erzieherin: „Durch die Grenzen, die wir am Anfang gesetzt haben, ist bei den anderen nach und nach der Wunsch entstanden, Jan und Erich näherzukommen.“ Schließlich hatten sie deren Handicap völlig vergessen: „Wann kommen denn endlich die behinderten Kinder?“, fragten sie. Da spielten die beiden mit der Glasknochenkrankheit schon seit Wochen mit.

Katharina Müller

„Wann kommen denn endlich die behinderten Kinder“, DVD oder Video, beim Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen ☎ (04 21) 3 46 16