Gas im Wattenmeer weckt Begehrlichkeiten

Niederländische Regierung will bis zum Sommer über Ausweitung der Förderung entscheiden. Kommission spricht sich dafür aus. Allerdings könnte der Wattenboden sinken. Die Opposition im Parlament ist gegen neue Förderung

DEN HAAG taz ■ Bis zum Sommer will die niederländische Regierung eine alte Streitfrage entscheiden: Soll im Watt noch mehr Gas gefördert werden? Mindestens 40 Milliarden Kubikmeter lagern zwischen Ameland und Schiermonnikoog, die bisher nicht angezapft werden.

Diese Gasmengen würden ausreichen, um Amsterdam, Utrecht, Rotterdam und Den Haag etwa fünfzehn Jahre lang zu versorgen. Die niederländische Staatskasse könnte mit Zusatzeinnahmen von ungefähr 3 Milliarden Euro rechnen. Möglicherweise wären es aber auch 10 Milliarden Euro, denn niemand weiß, ob sich nicht vielleicht sogar weitere 130 Milliarden Kubikmeter Gas im Watt verbergen.

Das weckt Begehrlichkeiten. Also setzte die Regierung eine Kommission ein, um die Risiken der Gasgewinnung zu bewerten.

Die Ergebnisse waren so erfreulich wie erwünscht: Die so genannte Meijer-Kommission riet, so schnell wie möglich mit der zusätzlichen Gasgewinnung zu beginnen. Denn bald sei es zu spät. Der Meeresspiegel steigt; gleichzeitig veralten die bestehenden Bohranlagen im Wattengebiet. Gefahren für die Natur kann die Kommission nicht erkennen. Wattenforscher sähen ganz andere Bedrohungen: Klimaveränderungen, Schiffshavarien und die Muschelfischerei seien viel schädlicher.

Die Kommission benennt nur noch ein einziges Restrisiko: Eventuell könnte der Wattenboden absinken, wenn sich die Gasspeicher darunter leeren. Daher soll ständig nachgemessen und die Förderung bei Gefahr gestoppt werden. Doch mit dem Ernstfall rechnet die Kommission eigentlich nicht. Sie setzt auf eine Art Saugeffekt: Wo früher Gas war, würde dann Sand aus der Nordsee nachgespült.

Die Opposition von Sozialdemokraten, Grünen und Sozialisten im niederländischen Parlament sind vehement gegen diese Pläne. Sie fürchten, dass sich die langfristigen Effekte zu spät zeigen – und verweisen auf eine umfangreiche Studie von 1999. Ihre Ergebnisse ließ die damalige sozialdemokratische Regierung Kok davon absehen, weitere Gasfelder im Watt zu erschließen. „Im Zweifel nicht bohren“, lautete das Motto. Seither wurden keine neuen empirischen Untersuchungen angestellt.

Die Oppositionsparteien verstehen daher nicht, wie die jetzige konservativ-liberale Regierung Balkenende mit den gleichen Tatsachen zu völlig neuen Bewertungen gelangen kann. Dennoch rufen Umweltschützer nicht zu großen Protestmärschen auf: „Nur Nein sagen bringt nichts“, hat die „Wattenvereinigung“ erkannt.

Man setzt auf „Synthese statt Konfrontation“. Schließlich sei das niederländische Wattenmeer inzwischen als Weltnaturerbe der Unesco nominiert. Bei der „komplizierten internationalen Gesetzgebung können wir nichts mehr erreichen mit Spruchbändern und Gummibooten.“

Außerdem macht man sich durchaus Hoffnungen: Schließlich fordert die Meijer-Kommission, dass die Muschelfischer in den nächsten sieben Jahren ihre Fangmethoden umstellen müssen. Sie dürfen dann nicht mehr den Wattenboden absaugen. Gleichzeitig sollen von den Erdgaserlösen etwa 750 Millionen Euro zurück in die Wattenregion fließen.

Die niederländischen Grünen hingegen wollen nun ganz prinzipiell gegen das „Kommissionsunwesen“ angehen. Allzuoft würden irgendwelche Expertengremien einberufen, nur damit die Regierung unliebsame Beschlüsse nicht selbst fällen müsse.

Einen Kompromissvorschlag haben die Grünen bereits: Wenn schon eine Kommission einberufen werde, dann müssten darin wenigstens auch Flamen sitzen. „Sie sprechen unsere Sprache, und das Risiko, dass sie Eigentinteressen verfolgen, ist gering.“ ULRIKE HERRMANN