Ein Sturm der Konfusion

Die Berliner sind vorsichtiger geworden. Das zeigte der neue Sturm vom Montagabend. Dennoch ist das Unwetter-Warnsystem noch ausbaufähig. Und der urbane Mensch fühlt sich immer noch zu sicher

von SIMONE ROSSKAMP

Als am 10. Juli 2002 der schwerste Gewittersturm seit 50 Jahren über Berlin hereinbrach, badeten einige gestressten Städter munter weiter im Schlachtensee. Jauchzend genossen sie die Wellen. Was sollte schon passieren? Während nur ein paar Kilometer weiter zwei Teenager am Wannsee von Bäumen erschlagen wurden, freuten sich die Schwimmer über den lässigen Freizeitkick.

Dabei sagt der Name ja eigentlich alles: Wenn eine Gewitterfront heranzieht, wie am Montagabend wieder, dann herrscht Kampf in der Luft. Auch noch gestern hieß es daher: Ausnahmezustand für Berlin. Ein Wort, dessen dringlicher Unterton nicht nur für die Katastrophenhelfer eine neue Dimension bekommen hat. Seit dem schweren Unwetter 2002, das insgesamt fünf Tote forderte, verursachen Sturmwarnungen auch bei der Bevölkerung ein unsicheres Gefühl. Eines der wirklichen Bedrohung, jenseits aller abstrusen Theorien. Der etwa, dass es wahrscheinlicher sei, vom Blitz getroffen zu werden als über vierzig noch zu heiraten.

Wolfgang Rowenhagen hat am Montagabend die Einsätze der Feuerwehr koordiniert und dabei gemerkt, dass die Menschen sensibler geworden sind: „Klar“, relativiert er, „es gibt immer noch die, die sich denken: ‚Mich trifft es bestimmt nicht.‘ “ Doch wenn dann ein Strum losbreche, würden Erinnerungen wach. „Fast jeder“, so ergänzt der Pressesprecher der Feuerwehr, Matthias Valigora, „hat doch inzwischen ein Bild vom Unwetter im Kopf – entweder durch die Medien oder eigene Erfahrungen. Das gräbt sich ein.“ Die persönliche Sturmgeschichte – entwurzelte Baumstümpfe beim morgendlichen Joggen, der kaputte Ziegelstein vor der eigenen Haustür – sie erinnert die Menschen daran, was in den Naturgewalten steckt.

Dieses Mal war das Unwetter nicht ganz so heftig wie letztes Jahr, auch viel kürzer, der Schaden geringer. Es gab Verletzte, aber keine Toten. Dennoch: Bei der Feuerwehr ticken die Uhren inzwischen anders. Hier teilt man ein, in die Zeit vor dem 10. Juli 2002 und die danach. Nach Krisengesprächen mit den Wetterdiensten senkte man die Schwellen für die Warnungen. Auch wurde die Kooperation mit den Medien verstärkt. „Die“, so weiß Georg Kerath, Leiter des Deutschen Wetterdienstes in Potsdam, „tragen unwissentlich zuweilen auch zur totalen Konfusion bei.“ So auch am Montag: Während der nationale Wetterdienst schon am Morgen eine Vorwarnung herausgab und gerade seine Hauptwarnung vorbereitete, gab ein Berliner Radiosender um 17 Uhr plötzlich Entwarnung. „Unsere vier Telefone sind ja oft überlastet. Aber da ging dann gar nichts mehr“, erzählt Kerath. Die Menschen waren verunsichert, weil zwei Wetterdienste unterschiedliche Informationen verbreiteten. Die voreilige Entwarnung kam von einem privaten Anbieter.

„Nicht auszudenken, was hätte passieren können“, regt sich Kerath auf, „wenn wir das nicht sofort korrigiert hätten.“ Seine Forderung: Die Politik solle hier klare Kompetenzen schaffen. Aufklärung müsse zudem noch konsequenter betrieben werden. Eine Szene wie letztes Jahr am Breitscheidplatz will Kerath nicht mehr erleben: Vorne wirbeln die Schirme als gefährliche Geschosse herum, hinten trinken die Menschen genüsslich ihren Cappuccino. Kerath: „Der Stadtmensch fühlt sich einfach zu sicher in seiner urbanen Umgebung.“