Die verlorene Kompetenz des Peter M.

Saarlands Ministerpräsident Müller war der CDU-Mann, mit dem man über ein Zuwanderungsgesetz reden konnte. Doch dann war er im Wahlkampf für Stoiber. Die neue Verhandlungslinie der CDU-Chefin Merkel wird nun von anderen bestimmt werden

VON LUKAS WALLRAFF

Es gab einmal eine Zeit, vor drei, vier Jahren, da galt der CDU-Politiker Peter Müller als Hoffnungsträger – für den liberalen Flügel in der Union und Rot-Grün. Mit dem saarländischen Ministerpräsidenten könne man reden, hieß es in der Koalition, der habe kapiert, worum es geht, der wolle seine Partei modernisieren. Zu der Frage, wie um Himmels willen man denn jemals mit der Union zu einer Einigung über ein Zuwanderungsgesetz gelangen wolle, lautete die Standardantwort bei SPD und Grünen: „Mit Leuten wie Müller“ sei das möglich. Und es ließ sich nicht bestreiten: Müller hatte Einfluss. Als Leiter der parteieigenen Einwanderungskommission brachte er die CDU dazu, endlich zu begreifen, dass Einwanderung für Deutschland gar nicht so schlimm, sondern im Gegenteil „eine Bereicherung“ sein kann.

Deutschland ist kein Einwanderungsland – dieser alte Glaubenssatz der CDU sei „ungefähr so haltbar wie die Behauptung, die Erde sei eine Scheibe“, sagte Müller vor drei Jahren. „Die demografische Entwicklung“, so Müller damals, „wäre ohne die Zuwanderung noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist“. Solche Sätze waren es, es die Rot-Grün ernsthaft daran glauben ließ, Konsensversuche hätten Sinn.

„Mit Leuten wie Müller“ geht es – diese Hoffnung wollte vor allem die SPD selbst dann nicht begraben, als Müller im Bundestagswahlkampf 2002 eine Kehrtwende um 180 Grad vollzog, zum Anführer der Stoiber-Fans innerhalb der CDU mutierte und den eisenharten Kurs der CSU gegen jegliche Zugeständnisse bei der Zuwanderung mittrug. Seine letzte aufklärerische Leistung bestand darin, die Empörung der Unionsfürsten nach der Bundesratsabstimmung über das Zuwanderungsgesetz im März 2002 als „Theater“ zu enttarnen – bei dem er mitgespielt hatte.

Trotzdem wurde es immer noch als Konsenssignal gewertet, als Müller im vergangenen Herbst Verhandlungsführer der Union im Vermittlungsausschuss wurde. Und er genoss die Rolle. Sein Wort zählte. Er war der Gastgeber und Wortführer der Union. Niemals zuvor hatten sich so viele Journalisten in der saarländischen Landesvertretung in Berlin gedrängelt.

Aus und vorbei. Auch und gerade auf Müller war der Satz gemünzt, mit dem Grünen-Chef Reinhard Bütikofer den ergebnislosen Klein-Klein-Gesprächen in der saarländischen Botschaft ein Ende setzte: „Das Spiel ist aus.“ Die alte Rollenverteilung, Schily spricht für Rot-Grün, Müller für die CDU, gilt nicht mehr. Der Saarländer hat sich durch sein ewiges Lavieren zwischen den Flügeln der Union verzockt. Die CDU-Chefin weiß seit Müllers Einsatz für Stoiber, dass sie auf ihn nicht zählen kann. Je stärker Merkel, desto schwächer wurde Müller. In Sachen Zuwanderung lässt sie sich nicht von Müller, sondern von Fraktionsvize Wolfgang Bosbach briefen. Das weiß auch Rot-Grün. Das wissen auch die Konservativen in der Unionsfraktion. Müller wird nicht mehr ernst genommen – spätestens seit der letzten Verhandlungsrunde am 1. Mai.

Als die Gespräche kurz vor dem Abbruch standen, schwang sich Müller zu einem letzten Einigungsversuch auf und nannte vier Forderungen, die Rot-Grün erfüllen müsse. Dann sei die Sache klar. Von wegen. Nach einer Verhandlungspause kamen die Unionsvertreter zurück – und verlängerten die Liste. Seitdem heißt es bei Rot-Grün, Müller sei zur „Witzfigur“ geworden. Mit Leuten wie ihm brauche man nicht mehr zu reden. Und so wirkt es tragikomisch, wenn Müller wie gestern fordert, die SPD müsse die Grünen zu weiteren Zugeständnissen zwingen. Alles andere, so Müller, wäre eine „schlimme Desavouierung“ für Innenminister Schily. Seine eigene hat er schon hinter sich.