Alles schon mal gesehen

Im Altonaer Theater stellt sich die Frage nach dem Sinn von Neuauflagen: Michael Bogdanov inszenierte dort seine Erfolgsversion von Thomas‘ „Unter dem Milchwald“

Es war Premiere, aber der Regisseur war schon wieder weitergereist. En passant hat Michael Bogdanov am Altonaer Theater Unter dem Milchwald von Dylan Thomas inszeniert. Und sich dabei weitgehend an seiner eigenen Schauspielhaus-Version von 1988 orientiert. Achtmal hat Bogdanov sein Milchwald-Konzept seitdem weltweit auf die Bühne gebracht. In Altona verbrachte er gerade mal zehn Tage. Die Vorarbeit leistete Intendant Axel Schneider.

Das Stück ist eine liebevolle Abrechnung mit dem Alltagsleben in einer walisischen Stadt. Thomas fängt in Unter dem Milchwald die Sehnsüchte des Alltags ein. Schildert die Episoden eines Tages im fiktiven „Llareggub“, das, rückwärts gelesen, für eine etwas rüde Distanzierung von den beschriebenen Nichtigkeiten steht. Dennoch bedient sich der Autor einer träumerisch verschlungenen Sprache. Das Stück war ursprünglich als Hörspiel für die BBC geschrieben. Schon bald nach der Erstausstrahlung 1954 hat Erich Fried seine deutsche Nachdichtung angefertigt. „Du kannst die schlummernde Stadt atmen hören“, sagt der Erzähler (Paul Matic), der in Bogdanovs Inszenierung meist als sinnierender Schriftsteller in einem Pub sitzt. Von dort beobachtet er das Treiben der Kleinstadtbewohner. Auf der leeren, nach hinten ansteigenden Spielfläche lassen sechs Darsteller – jeder in mindestens vier verschiedenen Rollen – aus dem Nichts Charaktere entstehen. Sie sind die Gestalten aus den Erinnerungen des alten Käpt‘n Cat (Dirk Hoener). Nächtigen in „tugendhaft arktischen Betttüchern“ und schreiben heimlich Liebesbriefe (Cornelia Marx). Oder treiben es sinnlich im Milchwald und trauern doch vergangenen Liebhabern hinterher (Charlotte Heinke). Die Darsteller sind ihre eigenen Requisiten, werden zu Uhren oder überkochenden Teekesseln.

Doch bei aller Freude über die ausgezeichneten Schauspieler: Wer die Schauspielhaus-Inszenierung gesehen hat, verbringt einen Abend voller Déjà-vus. Intendant Axel Schneider rechtfertigt die Neuauflage damit, dass Text und Inszenierung zeitlos seien. Er selbst war von der damaligen Aufführung so fasziniert, dass es ihm nun „eine Ehre ist“, sie für eine neue Zuschauergeneration „wieder zum Leben erweckt“ zu haben. Wenn das das Ziel war, hat er es erreicht. Ob der deutlich in den fünfziger Jahren verortete Alltag der Figuren auch heute noch Schüler fürs Theater begeistert, wird sich zeigen.

Christian Rubinstein

nächste Vorstellungen: 14.+15. 5., 20 Uhr, Altonaer Theater