DER EURATOM-VERTRAG DARF NICHT TEIL DER NEUEN EU-VERFASSUNG SEIN
: Es gibt keine Energiekrise

Als Giscard d’Estaing französischer Staatschef war, wurden 40 Atommeiler gebaut. Als jetziger Präsident des Konvents für eine Europäische Verfassung hat der Atomfan dafür gesorgt, dass in Europa die Atomenergie auch künftig eine unentbehrliche Quelle für Fortschritt, Wohlstand und Frieden sein soll. So steht es in einem Zusatzprotokoll zur künftigen Europäischen Verfassung. Das überrascht nicht. Überraschend aber ist, dass die rot-grüne deutsche Regierung nicht einmal Bedenken dagegen angemeldet hat. Will Joschka Fischer europäischer Außenminister um jeden Preis werden?

Wenigstens die schwarz-blaue österreichische Regierung hat zu protestieren gewagt, wenn auch bis jetzt vergeblich. Die Frage sei erlaubt: Wie ernst meint es die Berliner Regierung mit dem Atomausstieg wirklich? Und wo bleibt der umweltbewegte Aufschrei gegen das skandalöse Schweigen aus Berlin? Wie glaubwürdig ist das Gerede vom deutschen Atomausstieg, wenn die Bundesregierung einer Europäischen Verfassung zuzustimmen gedenkt, in der die Kernenergie auch in Zukunft eine privilegierte Rolle spielen soll?

Seit bald 50 Jahren wird die Atomenergie durch den Euratom-Vertrag privilegiert – bis heute. 1957 haben sechs Gründungsstaaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet und parallel dazu die Europäische Atomgemeinschaft durch den Euratom-Vertrag. Damals war dieser Kernenergie-Vertrag ein Kernelement der europäischen Energiepolitik. Die EU gibt allein für atomare Forschung noch heute zweieinhalbmal mehr Gelder aus als für die Forschung aller erneuerbaren Energien zusammen.

Im Euratom-Vertrag sind wichtige Fragen der Sicherheit, der Entsorgung und Endlagerung jedoch nicht behandelt. Da ist es auch kein Wunder, dass für die Endlagerung des Atommülls bis heute keine wirkliche Lösung, die diesen Namen verdient, gefunden werden konnte. Zudem sind die über 200 Atomkraftwerke in Europa über 200 Einladungen an Terroristen. Verdrängen hilft nicht – es könnte verheerend sein. Außerdem wird Euratom bis heute nicht vom Europaparlament kontrolliert – ein demokratiefeindlicher Anachronismus.

Aus all diesen Gründen sollte der Atomvertrag abgeschafft werden. Die Europäische Energiepolitik braucht einen neuen institutionellen Rahmen. Das ist machbar, denn nur noch vier EU-Staaten setzen langfristig auf Atomstrom. Die bisherige atomar-fossile Energieversorgung verhindert die richtigen energiepolitischen Weichenstellungen für eine sichere, preiswerte und umweltverträgliche Energiezukunft. Die Wegweiser für die zukunftsfähige Energiepolitik heißen: Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Wenn es der Europäischen Union bis 2050 gelingt, 60 Prozent des heutigen Energieverbrauchs einzusparen, dann könnte die gesamte Energie ab der Mitte des Jahrhunderts aus Sonne, Wind, Biomasse, Biogas, Wasserstoff, Wasserkraft und Erdwärme gewonnen werden.

Die noch anstehende Diskussion der Regierungschefs über die endgültige europäische Verfassung bietet eine Chance, die europäische Energiepolitik jetzt auf eine neue tragfähige Basis zu stellen. Dafür unerlässliche Kriterien sind: Der Schutz von Mensch und Umwelt vor Atomanlagen muss Verfassungsrang erhalten, die gesamte Palette der erneuerbaren Energie privilegiert werden und der Klimaschutz bei einer zukunftsfähigen Energiepolitik eine zentrale Rolle spielen. Bis 2050 soll für Europa eine Versorgung mit erneuerbaren Energien angestrebt werden. Die programmatische Richtung kann nur heißen: von Euratom zu Euronew, also hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien. Der Fluchtweg aus dem Treibhaus ist vorhanden. Klimaschutz, Friedenssicherung und Versorgungssicherheit können nur durch einen konsequenten Wechsel zu erneuerbaren Energien erreicht werden.

Die rot-grüne Bundesregierung wird daran gemessen werden, ob sie sich im jetzigen EU-Verfassungsprozess für die Abschaffung von Euratom zugunsten von erneuerbaren Energien stark macht. Es gibt keine Energiekrise, aber noch immer ein Brett vor der Sonne. FRANZ ALT

Franz Alt hat die TV-Magazine „Report“ und „Grenzenlos“ moderiert. U. a. wurde er mit dem Bambi, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Deutschen Solarpreis für Publizistik ausgezeichnet (www.sonnenseite.com)