Jahrelang galt in Kreuzberg eine Politik der Mietermitbestimmung. Daran haben sich Leute im Waldemarkiez und einige Lokalpolitiker erinnert. Denn mit der Aufhebung von Sanierungsgebieten wird der mieterunfreundlichen Immobilienspekulation wieder Vorschub geleistet. Deshalb wurde Montagabend ein Forum ins Leben gerufen, das Mieter, Politiker und Eigentümer an einen Tisch bringen, aber auch den Verkauf von Immobilen der Wohnungsbaugesellschaften transparent machen soll. Kontakt: Betroffenengemeinsachaft Walde-Kiez, www.waldekiez.org

Der Miethai geht wieder um

Mit der Aufhebung der Sanierungsgebiete kehrt der Immobilienspekulant in die begehrten Kreuzberger Wohngegenden zurück. Im Waldemarkiez schauen die Betroffenen nicht länger zu

VON WALTRAUD SCHWAB

Die Wohnungsspekulanten, die sich im Zuge der behutsamen Stadterneuerung aus Bezirken wie Kreuzberg zurückgezogen hatten, erleben derzeit ihr Comeback. Denn mit der Aufhebung der Sanierungsgebiete wird der Weg frei für eine Wohnungspolitik, die vom Markt diktiert wird. Kieze wie jene um den Chamissoplatz oder die Waldemarstraße in Kreuzberg trifft dies besonders hart, denn der mit der Immobilienspekulation einhergehende Wechsel in der Bewohnerstruktur zerstört die dort gewachsenen nachbarschaftlichen Strukturen. Gerade diese aber haben die Gegenden, die vor 30 Jahren stark heruntergekommen waren, nicht nur wieder lebenswert gemacht. Sie tragen auch dazu bei, dass heute trotz oftmals niederem Einkommen der Bewohner und Bewohnerinnen eine soziale Stabilisierung der Kieze erreicht wird.

Mit der Aufhebung der Sanierungsgebiete wird der Weg frei für den Verkauf von Immobilien aus dem Bestand der Wohnungsbaugesellschaften. Die Berliner Finanzpolitiker befördern dies, sehen sie in der Privatisierung von öffentlichem Eigentum doch das probate Gegenmittel zur Finanzmisere der Stadt.

Die Verkaufspolitik der Berliner Wohn- und Geschäftshaus GmbH (bewoge) hat nun den Protest der Mieter vor allem im Waldemarkiez auf den Plan gerufen. Weil Häuser, die nur instand gesetzt, aber nicht modernisiert wurden, für Immobilienkäufer am interessantesten sind, bietet die bewoge insbesondere diesen Immobilienbestand zum Verkauf. Gerade diese Häuser aber werden, aufgrund der dort niedrigeren Mieten, vielfach von weniger begüterten Menschen bewohnt. Zwar erhalten die derzeitigen Mieterinnen und Mieter ein Vorkaufsrecht, aber kaum jemand aus dem Kiez ist finanziell in der Lage, Wohneigentum zu erwerben.

Potenzielle private Käufer aber wollen in der Regel, dass der Erwerb der Immobilie profitabel ist. Das wird sie auch, wenn modernisiert wird, wodurch die Miete steigt. Oder wenn die Häuser in Eigentumswohnungen aufgeteilt und verkauft werden. Im Zuge solcher Umwandlungen werden die jetzigen Bewohner vertrieben, da sie die teureren Mieten nicht bezahlen können. Weil es für die Neueigentümer interessant ist, vor allem alteingesessene Mieter, die meist günstige Mietverträge haben und vor Umwandlung in Eigentumswohnungen besondere Schutzrechte genießen, loszuwerden, helfen echte Miethaie dem Wegzug durch gezielte Schikanen gerne nach. Im Waldemarkiez sind solche Fälle jetzt aktenkundig. Sie erst haben die Mieter aufgeschreckt.

Im Grunde sei man in vielen Kiezen in Kreuzberg wieder da, wo man vor der behutsamen Stadterneuerung gewesen sei, meint Barbara Oesterheld von der Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus. Hinzu komme der verstärkte Abbau staatlicher Unterstützungsleistungen für die sozial Schwachen. So müsse, meint Franz Schulz, Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, in naher Zukunft mit einer Öffnungsklausel fürs Wohngeld gerechnet werden. Im Klartext bedeute das Kürzungen und eine weitere Verarmung der Bevölkerung in seinem Bezirk, der im Sozialstrukturatlas bereits das Schlusslicht bildet.

Wenn die Spekulanten die altbekannten Strategien anwenden, gilt konsequenterweise auch für die Mieter, dass sie die alten Protestformen wieder ausgraben. Dies haben die Leute in der Waldemarstraße verstanden – und schlossen sich zusammen. Nicht zuletzt hilft bei Leerstand auch wieder Besetzung. „Ich habe nichts dagegen“, meint einer der anwesenden Lokalpolitiker.