: Der Garagenquäler
Aus dem Polizeibericht Emsland: Ein erledigter Fall im Ressort „Lärmbelästigung“
In zwanzig Jahren Dienstzeit, schüttelt Wernfried Kohlhoff den Kopf, sei ihm so etwas noch nicht untergekommen. Ein Lächeln umspielt die Mundpartie des bodenständigen Polizeibeamten, zieht rechts an der knolligen Nase vorbei und verschwindet im drahtigen Gewölle des mittellangen Backenbarts. Kohlhoff ist der Ortspolizist des emsländischen Dörfchens Brockenhövel. Sein Dienstrang lautet Kommissar, aber niemand hier spricht ihn als „Kommissar Kohlhoff“ an. Es käme ihm selbst lächerlich vor. „Kommissare“, das sind die Rüpel aus den Fernsehkrimis, die Türen einstiefeln und bei der erstbesten Gelegenheit zur Dienstwaffe greifen. Auch Wernfried Kohlhoff nimmt seine Automatikpistole regelmäßig zur Hand – aber nur, um den vorgeschriebenen Schmierdienst abzuleisten.
Kohlhoffs Arbeitsalltag erfordert kein kriegerisches Verhalten. Mal gilt es, eine entwichene Kuh von der Straße zu holen, mal wird ein Radfahrer ermahnt, bei nächster Gelegenheit das Rücklicht instand zu setzen. Aufregung kommt allenfalls auf, wenn er einen Nachbarschaftsstreit zu schlichten hat. Es gibt da ein paar notorische Kandidaten in seinem Revier … Er lacht gemütlich und zwinkert schelmisch mit den Augen. Namen nennt er keine. „Das gehört sich nicht“, sagt er. „Das ist vertraulich.“
„Keine besonderen Vorkommnisse“, so lautet der übliche Eintrag im Tagebuch der kleinen Brockenhöveler Polizeidienststelle. Und doch ist Kohlhoff jüngst über die Region hinaus bekannt geworden. Den fraglichen Fall hatte er zunächst im Ordner „Umweltvergehen“ abgelegt, unter L wie „Lärmbelästigung“. Seine Mundwinkel zucken verräterisch, als er davon erzählt.
Ein Verbrechen lag ja eigentlich nicht vor, auch wenn sich die Beschwerden der Anlieger häuften. Sie störten sich an dem kreischenden Geräusch, das laut wird, wenn Metall und Beton aneinander geraten. Ihre Klage galt Willi Bartke, der auf eine lange Vergangenheit unfallfreien Fahrens zurückblicken konnte, aber nicht imstande war, seinen alten besternten Diesel passgenau in die vor einigen Monaten erworbene Fertigbetongarage zu bugsieren. Wann immer Bartke von seinen automobilen Ausflügen heimkehrte, streifte er Pfosten oder Laibung, schabte an der grauen Mauer entlang, krachte womöglich auch noch vor die Rückwand. Die Flanken seines Fahrzeugs, die Kotflügel und Stoßstangen wiesen ellenbreite Schleif- und zahllose Kratzspuren auf und waren mit tiefen Einbuchtungen übersät. Abgeschabte Stellen besserte Bartke kurzerhand mit ein paar Pinselschwüngen rotbrauner Rostschutzfarbe aus, alles andere aber scherte ihn wenig.
Gepeinigte Dorfbewohner nahmen mehrmals täglich Anteil, wenn Bartke auf seinem Grundstück herumfuhrwerkte. Bald hieß er nur noch „der Garagenquäler“. So lautete auch die Überschrift im Lokalteil der Kreiszeitung, die Willi Bartke zu einer regionalen Berühmtheit machte. Der Bericht brachte Fremde und damit einige Unruhe ins Dorf.
Wernfried Kohlhoffs buschige Brauen ziehen sich vor Unmut zusammen, als er davon erzählt. Da seine wiederholten Ermahnungen fruchtlos geblieben waren, grübelte er nun doppelt konzentriert über eine andere Lösung des Problems. Eines Tages, als er auf der Suche nach einem entsprungenen Jungbullen über die Felder fuhr, kam ihm angesichts einer mit alten Autoreifen beschwerten Siloplane die entscheidende Idee. Er lieh sich einen Anhänger, fuhr zum Schrottlagerplatz des alten Kaminski und bat ihn unter Hinweis auf gewisse Verstöße gegen geltende Umweltschutzauflagen, die gegebenenfalls ein Bußgeldverfahren nach sich ziehen könnten, um ein paar ausgemusterte Altreifen. Mürrisch schickte Kaminski sich drein und übernahm sogar freiwillig das Aufladen. Kohlhoff spedierte das Fuder Altreifen hinüber zu Willi Bartke und gab diesem Anweisung, Garagenwände und den Metallrahmen des Tors großzügig mit Gummi auszukleiden. Bartke riskierte keinen Widerspruch, sondern tat wie ihm geheißen.
Bald danach kehrte wieder Ruhe ein in Brockenhövel. Die Akte „Bartke“ fand ein dauerhaftes Zuhause unter E wie „Erledigte Fälle“. Ein zufriedener, in sich ruhender Wernfried Kohlhoff geleitet uns nun zur Tür. Wir verabschieden uns und werfen im Abfahren letzte Blicke auf das idyllische Dörfchen Brockenhövel im Emsland. Kurz vor dem Ortsausgangsschild aber treten wir in die Eisen und legen noch einen abrupten Stopp ein. Im Rückspiegel haben wir Willi Bartkes fleckfarbige, zerdellte Karosse herangondeln sehen. Vorsichtshalber machen wir ihm den Weg frei. Wir wollen doch Kommissar Kohlhoff nicht mit vermeidbaren Amtsvorgängen belasten. CASPAR WIEDENBROCK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen