Theoretisch ist der Bund reich, praktisch hat er leere Taschen

Grundsätzlich kann der Bund fast 24 Milliarden Euro durch den Verkauf seines Post- und Telekomanteils erlösen. Was tatsächlich dabei herauskommt, steht in den Sternen

BERLIN taz ■ Neben ihrer politischen Aufgabe ist die Bundesregierung auch Chefin eines riesigen Konzerns. Darum geht es nun in der neuesten finanzpolitischen Debatte: Kann man diesen Konzern oder zumindest Teile davon verkaufen, um Geld für den Bundeshaushalt einzunehmen?

Wie der Beteiligungsbericht des Bundesfinanzministeriums für das Jahr 2002 ausweist, ist der Bund an 426 Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt. Dazu gehören solche Perlen wie die Internationale Moselgesellschaft in Trier. Deren Aufgabe ist es, die Mosel auszubaggern, damit die Schiffe durchkommen und das Bauhandwerk dreimal pro Jahr die Hochwasserschäden beseitigen kann. Die Moselgesellschaft wird niemand kaufen wollen, denn sie ist ein einziges Zusatzgeschäft.

Auch mit der Beteiligung des Bundes an der Berliner Flughafengesellschaft ist kein Blumentopf zu gewinnen. Das hocheffektive Unternehmen versucht seit Jahren einen neuen Berliner Flughafen abwechselnd selbst zu bauen oder zu privatisieren. Wer einen Investor in die Flucht schlagen will, bietet ihm diese Bundesbeteiligung an.

Rund 834.000 Menschen arbeiten bei Unternehmen, in denen der Bund als Eigentümer mitspricht. Drei Viertel von ihnen sind allerdings bei den drei größten Brocken beschäftigt: der Deutschen Telekom AG, der Deutschen Bahn AG, der Post AG und deren Töchtern. In der Theorie steckt im Bundeskonzern ganz schön viel Geld. An der Post AG hält der deutsche Staat noch 50 Prozent der Aktien, was nach aktuellem Kurs auf dem Papier ein Vermögen von 6,95 Milliarden Euro ausmacht. Und alleine das Aktienpaket an der Deutschen Telekom AG – der Bund hält direkt rund 31 Prozent – ist nach gegenwärtigem Kurs knapp 17 Milliarden Euro wert. Würde Finanzminister Hans Eichel (SPD) die Anteile an Post und Telekom in einem Rutsch verkaufen, könnte er das zusätzliche Acht-Milliarden-Euro-Loch dreimal decken, das die vorgezogene Steuerreform 2005 in seinen Etat reißt.

Aber das ist das Problem: Auch bei Vermögensveräußerungen fallen Theorie und Praxis auseinander. „Privatisierung klingt immer toll“, sagt Rüdiger Parsche vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Was dann dabei herauskomme, stehe auf einem anderen Blatt. Beispiel Telekom: Würde der Staat große Teile seiner Aktien vermarkten, gäbe wegen des überwältigenden Angebotes der Preis nach. Und außerdem kann Eichel das Telekom-Paket nur zu einem kleineren Teil verkaufen, denn die Erlöse daraus sollen auch in Zukunft zur Finanzierung der Pensions- und Rentenansprüche der ehemaligen Postbeamten dienen. Vor diesem Hintergrund mahnt die grüne Haushaltspolitikerin Antje Hermenau zu Realismus: „Bei der Telekom sind ein bis vier Milliarden Euro drin.“ Man solle „sich nicht gleich besoffen quatschen“.

Auch ein Blick auf die erfolgten Verkäufe der vergangenen Jahre hilft, die Verhältnisse geradezurücken. 1999 versilberte das Bundesfinanzministerium nach eigenen Angaben Unternehmen im Wert von rund 1,6 Milliarden Euro, 2000 waren es nur 35 Millionen, 2001 dann wieder 600 Millionen und 2002 immerhin 2,2 Milliarden Euro. Die Hoffnung mancher Rot-Grüner, im Prinzip die gesamten Kosten der vorgezogenen Steuerreform beim Bund über Verkäufe hereinholen zu können, scheint daher etwas übertrieben. Vermutlich liegt Parteichef Reinhard Bütikofer einigermaßen richtig, wenn er von einer teilweisen Gegenfinanzierung ausgeht.

In jedem Fall sollte Rot-Grün die Erfahrungen studieren, die die Berliner große Koalition unter ihrer Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) in früheren Jahren gemacht hat. Die eiserne Lady der Privatisierung verkaufte alles, was ging: den Stromversorger Bewag, die Wasserbetriebe, das Gasunternehmen, diverse Wohnungsbaugesellschaften. Die Mittel halfen immer kurzfristig über die Runden. Doch heute ist Berlin so pleite wie eh und je – und kann nichts mehr verkaufen.

Das ist auch ein Problem für die Strategie des Bundes. Eichel kann die Steuerausfälle teils kompensieren, bankrotte Landesregierungen oder arme Stadtkämmerer können es nicht. Länder und Kommunen sollen aber mehr als die Hälfte der Kosten der vorgezogenen Steuerreform tragen. Wie das gehen soll, weiß niemand – mit Privatisierungen jedenfalls nicht. HANNES KOCH