Vom Flächentarifvertrag zum Fleckentarifvertrag

Der Arbeitskampf im Osten ist ein gutes Beispiel dafür, wie es in ganz Deutschland weitergehen könnte: Arbeitgeberverbände ohne Tarifbindung haben regen Zulauf

BERLIN taz ■ Es klingt wie ein Gewerkschaftssong, ist aber Arbeitgeberpropaganda: „Aufschwung braucht Zeit, und wir woll’n Arbeit, genau wie in Stuttgart oder Köln“, tönt es von einer CD, die der Metall-Arbeitgeberverband Sachsen verschenkt. Zu Streikzeiten wollen alle für sich werben. Und der Arbeitgeberverband hat es nötig.

Der Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche im Osten zeigt, wie es in ganz Deutschland weitergehen könnte mit dem Flächentarifvertrag. Erstens sind im Osten nur wenig Metallunternehmen überhaupt in einem Arbeitgeberverband mit Flächentarifbindung. Und zweitens wechseln auch noch viele davon zu Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung, den „OT-Verbänden“. „Arbeitskämpfe wie im Moment verstärken diesen Trend“, sagt Michael Stahl, Sprecher des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. In der Metallbranche existieren diese OT-Verbände inzwischen fast überall. Sie beraten in Fragen des Arbeitsrechts oder betrieblicher Innovationen. Im Osten sind sie besonders stark. In der sächsischen Metall- und Elektroindustrie etwa sind 22 Prozent der Beschäftigten in Unternehmen angestellt, die Mitglied im flächentarifgebundenen VSME sind. 16 Prozent malochen in Betrieben, die dem OT-Verband AGS angehören – überwiegend mittelständische Firmen. Vor dem Arbeitskampf wechselten 15 Unternehmen vom VSME zum AGS. Wer aus dem VSME aussteigt, muss sich allerdings noch so lange an den Flächentarifvertrag halten, bis er mit der Gewerkschaft einen Haustarifvertrag vereinbart hat. Darin dürfen sie vom Flächentarif abweichen.

Die Auflösung geht noch weiter: Mit 62 Prozent ackern die meisten Beschäftigten in Sachsen in Betrieben, die keinem der Verbände angehören. VSME-Sprecher Frank Möhrer: „Im Osten könnte man schon eher von Flecken- als von Flächentarifverträgen sprechen.“

Das lässt Düsteres ahnen: Nicht die Schwächung der Gewerkschaften durch die Politik, sondern die Auflösung der Arbeitgeberverbände führt am Ende zum Niedergang der Tarifautonomie.

BARBARA DRIBBUSCH