Makellos und fein eingeölt

Grand Prix Countdown: Früher war Körperlichkeit den Frauen vorbehalten. Heute zeigen auch die Männer Brust

Hätte er sich vor, sagen wir: 33 Jahren um einen Platz beim Eurovision Song Contest beworben, wäre er auf der Stelle disqualifiziert worden. Wahrscheinlich hätte man Deen, Sänger aus Bosnien-Herzegowina, nicht einmal zu den Proben gelassen. Nicht sein Lied wäre als anstößig empfunden worden, sondern er als Person selbst. Denn der 22-jährige Mann aus Sarajevo wäre als als Reklamefigur für Pornografisches wahgenommen worden.

Damals, als die scheue Katholikin Dana für Irland mit „All Kinds Of Everything“ gewann, traten Männer bei der Eurovision im Frack oder Smoking auf, die Damen meist im Abendkleid. Ausnahmen wie Sandie Shaw, France Gall oder Massiel waren Ausnahmen von der (züchtig-verhüllten) Regel, die damals in Europa, auch im Popgeschäft, noch zu gelten hatte.

Über die Jahre gewöhnte sich Europa freilich an die Idee, dass textile Freizügigkeit und fleischliche Statements nicht das Abendland in Gefahr bringen – im Gegenteil eher zu seiner Stimulation beitragen. Frauen dürfen zeigen, was sie aus sich machen. Mit Push-ups auf sehnigen Körpern, die wohl meist nur mit Salat gefüttert werden.

Aber die Männer hielten sich zurück. Dann und wann ein Tänzer im Background, dessen Muskularität erkennbar wurde – aber die Sänger blieben verhüllt. Wiedergänger des ewigen Konfirmanden Johnny Logan, als zwänge sie etwas, den schüchternen Jungen zu geben, der es aber faustdick sonstwo hat. Man war auf Fantasien angewiesen.

Das ist dieses Jahr anders. Mann preist sich unumwunden. Deen aus Bosnien hat im Halbfinale seine Brust entblößt, sie sah nach gängigen Schönheitsvorstellungen makellos aus, alles fein enthaart und eingeölt. Wie der Bosnier hielten es auch der Grieche Sakis, der Mazedonier Tose Proeski: Weshalb nicht zeigen, was man geleistet hat? Nicht minder körperbewusst, obschon stärker bekleidet, die Türken von Athena, der Spanier Ramón und der Däne Tomas: Sie performen auf eine Art, die früher als schwuchtelig (zu rund) oder prollig (zu schwitzend) erkannt worden wäre – was einem ästhetischen Todesurteil glich.

Wobei Max Mutzke eine Ausnahme in der Eurovisionskonkurrenz bildet: Er sieht aus wie the boy next door, gibt keinen Travolta oder eine männliche Pamela Anderson. Die Zeiten haben sich ins Gegenteil verkehrt – nun könnte einer wie er die (quasi-renitente) Ausnahme von der (sexreklamierenden) Regel sein.

JAN FEDDERSEN