Die Kalifornisierung des Bluegrass

Nuancen des Lichts noch in der traurigsten Ballade: Gewinnen „Califone“ den Wettlauf um die Roots-Musik der Stunde?

von CHRISTOPH BRAUN

Das Rennen schien gelaufen. Hippe junge Menschen setzen sich Cowboyhüte auf und packen Hank Williams in ihre Plattenkoffer und tun so aufgekratzt. Und es fehlt auch nicht die Meute mit dem „Von der Platte hätte ich aber XXX aufgelegt!“-Blick in all den kleinen Bars zwischen München und Hamburg, wenn Country läuft.

Irgendwas ist immer: Zum Beispiel eine Roots-Musik der Stunde, die sich unter all den sonstigen aufregenden SchredderHop und High-Speed-Glitch mischt. Das war schon vor über zehn Jahren so, als mitten in TECHNO ein paar punksozialisierte Öko-Anarchos aus San Francisco eingeflogen wurden.

Mehr als ein, zwei Jahre, das hat damals auch der so genannte „Neo-Folk“ gezeigt, können sich solche Roots-Musiken der Stunde nicht halten. Dann ist das Gleichgewicht der Weltmusikmutter Gaia wiederhergestellt, für einen kurzen Moment sind nur superaktuelle Popmusiken in Sicht, bis sich eben plötzlich junge Menschen Cowboyhüte etc.

Jetzt aber passiert etwas Unerwartetes: Califone kommen. Und mit ihnen die Furcht des Country, doch nicht offizielle Roots-Musik der Stunde zu werden. Johnny Cash mag Depeche Mode covern, da zückt Tim Rutili einen dieser Mouse On Mars‘schen Pluckersounds aus dem Rechner und lässt ihn kreisen. Erst dann beginnt der Songschreiber und Sänger von Califone zu singen auf Quicksand/Cradlesnakes. Fest, sicher, voluminös klingt diese Stimme, man könnte Bierwerbung mit ihr einsingen. Tim Rutili aber hat schon bei den SubPop-Rockern Red Red Meat gezeigt, dass er verantwortungsvoll mit seinen Fähigkeiten umgeht.

Und so belässt er es mit dem Andeuten dieser Fülle, findet Nuancen des Lichts in einer so traurigen Ballade mit einem Titel wie „Horoscopic.Amputation.Honey“. Da baut Ben Massarella, zweite Konstante der Chicagoer Band, einen in der Luft schwebenden Beat, während eine verhallte Violine zaghaft das pointiert niedergeschlagene Piano umströmt. Doch es würde ganze Seiten verschlingen, das dritte Album der Band nachzuerzählen: Es gibt keinen Schlüsselsong, so sperrig klingt der Titel, so disparat kommen die Tracks daher.

Mal münden Slide-Gitarren in Mauern des Krachs, mal darf der Fiddler tatsächlich pastorale Idyllen erspielen. Dann wieder klingen Califone mit ihren beinah zerfallende Texturen aus akustischer Bass-Gitarre und diversen Perkussionsinstrumenten wie die Stanley Brothers auf Kodein. Deren „Man Of Constant Sorrow“ ist ja seit O Brother, Where Art Thou? von den Coen-Brüdern der Bluegrass-Song schlechthin.

Mit Califone jedenfalls schickt Bluegrass ein heißes Eisen ins lodernde Rennen um die Roots–Musik der Stunde. Denn Califone kalifornisieren den Bluegrass. Die Roots-Musik aus den Appalachen wird erhitzt und aufgelöst, ganz so, als wären Rutili und Massarella alte Surfer, die ständig Ginsberg lesen und bewusstseinserweiternde Drogen schlucken. Live sollen sie, ganz in diesem Sinne, übrigens sehr auf das Schaffen sachter Sphären bedacht sein.

Donnerstag, 21 Uhr, Schlachthof