Dem Morgenrot entgegen

Slatan Dudow, der Regisseur von „Kuhle Wampe“, war noch in seinen Nachkriegsfilmen mit viel Propaganda für die DDR davon besessen, gesellschaftliche Ideale am Konkreten zu messen. Das Babylon zeigt eine Retrospektive

Slatan Dudow ist vor allem wegen seines Films „Kuhle Wampe“ bekannt, dem „ersten kommunistischen deutschen Film“. Die künstlerischen Ursprünge des in Bulgarien geborenen Regisseurs lagen im linken Berliner Theater der Zwanzigerjahre, und so kam der Kontakt zu Brecht und Hanns Eisler nicht zufällig zu Stande.

Er hatte bei Piscator gespielt, dann auch bei Fritz Langs „Metropolis“ Erfahrungen gesammelt, war aber von dessen gesellschaftspolitischem Programm entsetzt. Bei der Inszenierung von Brechts Stücken fühlte er sich daher wesentlich besser aufgehoben. Sein erster Film hieß denn auch „Wie der Berliner Arbeiter wohnt“ (1929) und war ein von Eisenstein beeinflusster Dokumentarfilm, und auch mit dem Arbeitslosenpanorama „Kuhle Wampe“ blieb er dem proletarischen Umfeld treu.

1933 wurde Dudows Filmkarriere von Hitlers Machtantritt unterbrochen. Im französischen, dann schweizerischen Exil konnte er zwar keinen einzigen Film drehen, er schrieb aber einige Stücke und besorgte Brecht-Inszenierungen am Theater. 1946 ging er nach Berlin zurück und nahm Kontakt zur Defa auf. Es war für Dudow keine Frage, den Aufbau der DDR filmkünstlerisch zu begleiten. 1949 drehte er „Unser täglich Brot“, einen lebhaften Film, in dem sich die neuen deutschen Gegensätze mitten durch eine kleinbürgerliche Familie ziehen.

Auch in den folgenden Jahren drehte Dudow immer wieder Filme mit eindeutiger Position. In der Satire „Hauptmann von Köln“ (1956) zeigte er den Westen Deutschlands als kapitalistische Räuberhöhle mit allen dazugehörigen Klischees. Die Verlagerung des bekannten Hochstapler-Stoffs nach Köln ergibt ein Gesellschaftsbild, das hinter dem schönen Schein der Konsumgesellschaft auch die schon wieder geschmiedeten politische Pläne zeigt: Die Remilitarisierung der BRD ist bereits beschlossen, ein neofaschistischer Putsch steht unmittelbar bevor.

Was die Eindeutigkeit von Westdarstellungen betrifft, so hatte auch „Familie Benthin“ (1950) keine Propagandawünsche offen gelassen. Dieser Film über eine Familie, die ihre Firmeninteressen etwas zu intensiv vertritt, wirkt aber vielleicht auch deshalb schwerer verdaulich, weil der Auftrag zu seiner Herstellung direkt vom SED-Präsidium kam. Da schon das Drehbuch von Zwischentönen gereinigt war, hätte auch die einfühlsamste Regie nicht viel ändern können. Pikant: weder Kurt Maetzig noch Dudow wollten im Vorspann erwähnt werden. Trotzdem gibt es auch hier witzige Stellen, wenn immer wieder zwei alte Militaristen auftreten, den gehässigen Opas in der Muppet-Show nicht unähnlich, und sich begeistert die geostrategischen Optionen in einem Dritten Weltkrieg auf der Zunge zergehen lassen.

Man tut Slatan Dudow allerdings Unrecht, wenn man seine Nachkriegsarbeiten auf ihre propagandistischen Aspekte festnagelt. In Wirklichkeit sind seine Filme, gerade die, die er selbst geschrieben hat, von der Idee besessen, gesellschaftliche Ideale am Konkreten, an den Bedürfnissen und menschlichen Fähigkeiten zu messen. Auffällig ist sein Interesse an Geschichten, in deren Zentrum Frauen stehen. In „Frauenschicksale“, 1952 in schillerndem Agfacolor gedreht, findet eine Reihe von Frauen, nachdem sie einem narzisstischen Womanizer auf den Leim gegangen sind, auf einen jeweils ganz eigenständigen Weg. In keinem Westfilm wird man allein erziehende Mütter und ähnlich aufgeräumte Geschlechterverhältnisse finden.

In „Verwirrung der Liebe“ (1959) werden die Möglichkeiten der sexuellen Selbstbestimmung mit noch leichterer Hand durchgespielt und erinnern manchmal an „Kuhle Wampe“. Ein junges Paar versucht nicht nur den Partnertausch, sondern greift damit gleich auch noch gewisse soziale Grenzen an. Die Kunststudentin und der Medizinstudent trennen sich, gehen mit dem Maurer und der Angestellten, um dann zur Anfangskonstellation zurückzufinden.

Aus dem doppelten Anlass eines runden Geburts- und Todesjahrs (1903, 1963) zeigt das Filmkunsthaus Babylon eine kleine Slatan-Dudow-Retrospektive. Deshalb kann man „Verwirrung der Liebe“ nun genau dort wiedersehen, wo er einst seine Premiere hatte. MANFRED HERMES

„Regieporträt Slatan Dudow“, bis 30. Juni im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte. Termine siehe Programm