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Die Freiheitsstatue steht vor der Tür

Die aktuelle Ausgabe des Gratis-Comicmagazins „MogaMobo“ versammelt Geschichten über den Krieg und die Krise von 25 Zeichnern aus 17 Ländern

von ANNE RUPRECHT

Nur wenige Linien, hastig aufs Papier geworfen, und alles ist möglich: Mit der blanken Brust wehrt Superman tödliche Zetastrahlen ab, durchquert unbeschadet ein Flammenmeer, durchbricht dicke Mauern, katapultiert sich mit Überschallgeschwindigkeit ins All. Comics sind wie geschaffen für Superhelden. Niemand kann sich den Giganten in den Weg stellen, nichts sie aufhalten. Im Comic ist alles möglich.

Anders im neuen MogaMobo-Magazin „Global Madness“. Hier werden die Möglichkeiten, die der Zeichenstift bietet, genutzt, um Ohnmacht, Zweifel und Kritik ins Bild zu setzen. Denn es herrschen Krieg, Terror und Rezession. Rettende Superhelden sind nicht in Sicht, und auch Comiczeichner können nur hilflos zusehen. Ob von Israel, Neuseeland, Deutschland, der Türkei, den USA oder Japan aus. „Wir wollten diesmal ein politisches Heft machen und von Comiczeichnern weltweit wissen, wie sie das momentane Weltgeschehen wahrnehmen, wie Politik und Medien bis in ihren Alltag hineinwirken“, erklärt Thomas Gronle, einer der drei MogaMobo-Macher. Das Ergebnis: insgesamt 26 Bilder und Geschichten über Krieg und Krise von 25 Zeichnern und Illustratorinnen aus 17 Ländern.

Im Zentrum des Hefts steht der Irakkrieg. Ursprünglich sei das Thema allgemeiner formuliert gewesen, erzählt Jonas Greulich: „Doch dann kam der Krieg. Wer macht da schon was zur Wirtschaftskrise. Es ist jetzt also vor allem ein Antikriegsheft geworden.“ Dennoch ist „Global Madness“ nicht einfach ein Anti-Bush-Kampagnenheft. Titus Ackermann: „Platte Propaganda haben wir nicht angenommen, wir wollten persönliche Geschichten.“

So wie die des Spaniers Guilermo. Über zwei Jahre hinweg verfolgt er die Beziehung von Pedro und Maria. Parallel dazu ist das große Weltgeschehen montiert: 11. September 2001, der erste Kuss. Kaum ein Monat später: Pedro zieht bei Maria ein, Bomben fallen auf Afghanistan. März 2001: Eng umschlungen liegt das Paar auf einer Frühlingswiese. Genau 8.000 Meter höher fliegt ein Flugzeug vorbei. „Scheiße, ich lebe im Krieg,“ sagt Pedro.

Bush in der U-Bahn

In Bagdad fallen Bomben, Zeitung, Radio und Fernsehen tragen sie in jedes Wohnzimmer weltweit. Krieg und Krise sind überall präsent. Sie dringen bis in die banalsten Alltagssituationen vor: Eine Ausstellungseröffnung in Berlin wird in dem Strip von Titus Ackermann zum Nebenkriegsschauplatz, plötzlich steht die ausrangierte Freiheitsstatue vor der Wohnungstür, in der U-Bahn tummeln sich zwei, vier, sechzehn und schließlich unzählige Saddam- und Bushklone, der tägliche Gang zum Briefkasten gerät zum Martyrium: „Verdammte Zeitung …“, die dünne Figur von Betie Pankoke erklimmt die Stufen in einem Treppenhaus, das an Escher erinnert: „… will nicht mehr wissen, was drinsteht.“ Am Ende ihres Schneckentreppenhauses erreicht die Figur die Wohnungstür: „Will nichts mehr sehn.“

Doch auch wenn bestimmte Motive immer wieder auftauchen, für ihre Gedanken und Gefühle haben die Zeichner ihre jeweils ganz eigene Bildsprache gefunden: Grafiken, Bilderfolgen mit oder ohne Text, Illustrationen oder Collagen. Comic ist bei MogaMobo ein weiter Begriff. Das dienstälteste deutsche Gratis-Comicmagazin wurde 1995 von einer Gruppe Stuttgarter Zeichner ins Leben gerufen: „Für junge Comiczeichner gab es in Deutschland einfach keine Plattform, um kurze Arbeiten zu veröffentlichen“, erklärt Mitbegründer Titus Ackermann. „Die größeren Verlage führten überwiegend Lizenzware aus Frankreich, den USA und Japan ein, die kleinen brachten ihre Hefte für ein reines Insiderpublikum heraus.“ Das wollte die Zeichnergruppe ändern.

Ihre Idee: „MogaMobo – comix für alle“, ein Gratismagazin, das in Kinos, Kneipen und Klamottenläden ausliegt und sich über Anzeigen, die im Comicstil gestaltet sind, finanziert. Verdienen tun die MogaMobo-Macher damit nichts. Das Geld aus der Anzeigenakquise geht komplett ins Heft. Nur so kann MogaMobo eine Auflage von 20.000 Exemplaren finanzieren. Davon liegen jeweils 8.000 in Berlin und Stuttgart aus. Der Rest geht an Comicläden deutschlandweit. Mittlerweile vierteljährlich bringt das MogaMobo-Trio eine Ausgabe auf den Markt. Mit „Global Madness“ sind es bislang 88 Hefte. Zeichner, Thema und Format wechseln von Ausgabe zu Ausgabe: Ob ein Bastelbogenheft zur Weihnachtszeit, 24 streichholzschachtelgroße Bändchen zum Millenniums-Countdown, oder „100 Werke der Weltliteratur im handlichen Taschenbuchformat“ – MogaMobo soll vor allem eines sein: ein buntes Experimentierfeld. Das ist auch mit der jüngsten Ausgabe gelungen.

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