Das Neuste, wie es mir gefällt

Lange vor Musikstücken wurden Nachrichten in Tauschbörsen verbreitet. Aber die Zeit der Pioniere ist vorbei, die Mitglieder von Nachrichtennetzen wählen heute fast nur aus dem kommerziellen Angebot aus, was sie besonders interessant finden

von MATTHIAS SPIELKAMP

Aldor Nini hat einen interessanten Job: Er liest den ganzen Tag nur die „beliebtesten, besten und neuesten News „aus aller Welt. Zumindest müssten das die Nutzer des Onlinenachrichtendienstes „sternshortnews“ glauben, bei dem Nini eine Art Chefredakteur ist. Denn sie liefern diese Nachrichten selbst, weil sie sie für die beliebtesten, besten und neuesten halten – zumindest steht es so auf den Webseiten der Firma.

shortnews.stern.de, eine Kooperation des Onlineangebots des Sterns mit der Shortnews.com GmbH in Regensburg, setzt auf den so genannten Peer-to-Peer-Journalismus. Der zeichnet sich dadurch aus, dass es keine Redaktion gibt, in der Reporter und Redakteure Beiträge produzieren, die dann ans Publikum weitergegeben werden – wie bei einer Zeitung, im Radio oder Fernsehen. Oder auch bei den meisten anderen Internetnachrichtenangeboten.

Diese Art des Journalismus hat eine wesentlich längere Tradition als der Tausch von Musik- und Videodateien. Sie ist sogar älter als der konventionelle Journalismus im Netz. Wahrscheinlich war es ein sonniger Tag, als 1985 zwei internetbegeisterte Aktivisten in Sausalito, Kalifornien, eine „Community“ gründeten. Stewart Brand und Larry Brilliant nannten ihre Gemeinschaft „The WELL“, was eine Abkürzung ist für „Whole Earth ’Lectronic Link“. Fast ein Jahrzehnt bevor kommerzielle Nachrichtenseiten ans Netz gingen, sollte dieses „elektronische Bindeglied der ganzen Welt“ ein Versammlungsort sein für eine „einflussreiche Gruppe unabhängiger Denker“.

Entwicklungshilfe

Was es auch wurde: Einige sehr bekannte Vordenker des Internets stellten ihre Artikel oft zuerst in der „WELL“ zur Diskussion. Entsprechend dem Prinzip des „Peer Review“, bei dem wissenschaftliche Publikationen immer erst von Kollegen begutachtet und dann veröffentlicht werden, war das ein Peer Review, dem man bei der Arbeit zuschauen konnte.

Allerdings nahm der elitäre Club neue Mitglieder nur auf Vorschlag der bereits registrierten auf. Die „Association for Progressive Communication“ (APC), 1990 gegründet, wollte dagegen die Vorteile der weltweiten Vernetzung auch denen zukommen lassen, die davon abgeschitten sind: den Menschen in Entwicklungsländern. Also gründete sie dort Firmen, die Computernetze aufbauten und Nichtregierungsorganisationen und anderen Aktivisten Rechner zur Verfügung stellte. Außerdem sorgte sie dafür, dass diese Organisationen ihre Nachrichten auch effektiv miteinander austauschen konnten. Durch ein so genanntes Mailboxsystem landeten so Berichte über Streiks in Lateinamerika im elektronischen Briefkasten eines nichtkommerziellen Lokalradios in Hannover-Linden.

In die Verteiler der großen Nachrichtenagenturen schafften es solche Meldungen selten. Aber die Gegenöffentlichkeit hatte einen neuen Vertriebsweg gefunden. APC gibt es heute noch (www.apc.org), aber andere Info-Seiten haben die Veteranen aus dem Fokus der Öffentlichkeit verdrängt – etwa Indymedia.org. Dort wird über nahezu alles berichtet, was in den konventionellen Medien auch für Schlagzeilen sorgt, vom G-8-Gipfel in Evian bis zum Krieg im Irak. Doch bei Indymedia finden die Leser auch Themen und Blickwinkel, die es nicht durch den Filter der kommerziellen Medien schaffen. Prinzip ist das Open Publishing – jeder kann schreiben, was er will, alles wird veröffentlicht. Auf die Hauptseite schaffen es zwar nur wenige Artikel, bei denen nicht ganz klar ist, nach welchen Kriterien sie ausgewählt werden, doch gerade in Zeiten immer stärkerer Medienkonzentration ist eine nicht ganz transparente Alternative immer noch besser als gar keine.

Nicht neu, aber gut

Und was hat all das mit Aldor Ninis Job tun? Sehr viel, wenn es um die Organisation des Nachrichtenflusses geht. Über ein Menü können die Nutzer Nachrichten einfügen, die sie für interessant halten. Einige Studenten – und im Zweifelsfall Nini – überprüfen dann, ob die seriös sind. Die Kriterien allerdings sind so wenig definiert wie bei Indymedia. Gar nichts jedoch hat Shortnews mit dem Gedanken zu tun, Neuigkeiten zu verbreiten, die man nicht auch in etablierten Medien findet. Im Gegenteil: Keine der Meldungen ist von den Nutzern wirklich selbst recherchiert. Es handelt sich um kurz zusammengefasste Nachrichten, die bereits woanders im Netz erschienen sind und hier neu aufgebrüht werden.

Den angeblichen Vorteil eines solchen Systems gegenüber etablierten Medien fasst www.fat news.de so zusammen: „Ganz einfach: gewöhnliche Nachrichten-Website: Wenige Redakteure liefern viele News. fatnews.de: Viele Menschen liefern viele News. Das bedeutet für dich: Mehr Objektivität und mehr Vielfalt!“

Wie eine größere Vielfalt aus einer blosßen Auswahl bereits publizierter Nachrichten entstehen soll, bleibt das Geheimnis der Betreiber. Peer-to-Peer-Journalismus, der seinen Namen verdient, wird woanders praktiziert. Neben Indymedia vor allem bei slashdot.org, einem Webangebot für Technikfans. 1997 begann der Programmierer Rob Malda, Artikel ins Netz zu stellen. Bald schickten ihm Gleichgesinnte ihre Texte zu, die er ebenfalls veröffentlichte. Jeder durfte jeden kritisieren, ein kompliziertes Regelsystem – die Anleitung ist gut zweihundert Seiten lang – soll dafür sorgen, dass am Ende nur das veröffentlicht wird, was wirklich Hand und Fuß hat. Dass das funktionieren kann, hat Slashdot bewiesen: Die Site gehört zu den beliebtesten Technikangeboten weltweit und hat nach eigenen Angaben 50 Millionen Seitenaufrufe im Monat (bei sueddeutsche.de sind es ungefähr 29 Millionen).

Dieser Erfolg rührt vor allem daher, dass die Autoren spürbar über Themen schreiben, in denen sie sich wirklich auskennen, was sich bei Shortnews und Fatnews nicht behaupten lässt. Warum ein Magazin wie der Stern dann eine solche Kooperation eingegangen ist? Barbara Hamm, Chefredakteurin beim Onlineableger des Nachrichtenmagazins, sagt, dass Shortnews die „Nachrichten-Kompetenz ergänzen“ könne, weil es den „Usern in einer von der redaktionellen Berichterstattung getrennten Community die Möglichkeit anbiete, selbst Nachrichten zu verfassen und zu veröffentlichen.“ Einen Einfluss auf ihr Gewerbe insgesamt schließt Hamm aber aus, denn „die vom User recherchierten und geschriebenen Nachrichten können den professionellen Journalismus nicht ersetzen“. Zumindest nicht die bei Angeboten wie Fatnews oder Shortnews.

spielkamp@autorenwerk.de