Fühlen, wohin der Krieg führt

Die grausigen Bilder von der Hinrichtung Nick Bergs erschüttern Amerika. Immer mehr Menschen fragen nach dem Sinn der Irak-Mission

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Die Nachricht von der Hinrichtung platzte am Dienstag in die Anhörung von Generalmajor Antonio Taguba vor dem Streitkräfteausschuss im US-Kongress. Als Taguba, Autor des Untersuchungsberichts über die Misshandlungen im Gefängnis Abu Ghraib, mit den Senatoren um die Aufklärung des Folterskandals bemüht war, wurden die Abgeordneten mit der ersten grausigen Racheaktion konfrontiert – im Saal erstarrten die Gesichter angesichts eines weiteres Belegs dafür, wie sehr die Gewalt im Irak außer Kontrolle geraten ist.

Am Abend dann veröffentlichten US-Fernsehsender Ausschnitte aus dem Videoband der Hinrichtung des 26-jährigen Amerikaners Nick Berg, in denen er zu sehen ist, bevor er enthauptet wurde. Erinnerungen wurden wach an den Mord an dem US-Journalisten Daniel Pearl, der Anfang 2002 in Pakistan auf ähnliche Weise getötet wurde.

Die Exekution des Geschäftsmanns aus Pennsylvania, der im Irak Antennenanlagen reparieren wollte, signalisiert eine weitere bedrohliche Entwicklung für die Bush-Regierung, die mit den Konsequenzen des Folterskandals, anhaltenden Kämpfen und der bislang unklaren Machtübergabe Ende Juni in Bagdad schon jetzt überfordert ist. Zudem dürfte es den PR-Strategen im Weißen Haus gar nicht gefallen, dass Bergs Eltern der Regierung lautstark Mitschuld am Tod ihres Sohnes vorwerfen. Dieser hätte längst wieder zu Hause sein können, wäre er nicht 13 Tage lang im Irak von US-Streitkräften in Gewahrsam genommen worden, sagte sein Vater.

Der Tod Bergs bietet dem Weißen Haus jedoch auch Gelegenheit, auf die Unterschiede der Grausamkeiten hinzuweisen und die Vergehen der eigenen Soldaten zu relativieren. „Dies zeigt das wahre Gesicht der Feinde der Freiheit“, beeilte sich der Präsidentensprecher zu verkünden. Die Ankündigung, die Täter zu verfolgen und zu bestrafen, ist angesichts der chaotischen Situation im Irak nur eine hilflose Pflichtübung.

In Miltärkreisen wächst nach dem Racheakt die Sorge um die Sicherheit der US-Soldaten. Der Leiter der Pentagon-Nachrichtendienste, Ronald Burgess, fürchtet, Terrororganisationen werden die Affäre um die Misshandlung irakischer Gefangener „für einen Aufruf zum vereinten Kampf“ ausnutzen. Aber auch die Sicherheit von Privatfirmen, die im Irak operieren, steht auf dem Spiel. Immer mehr werden sie zur Zielscheibe der Aufständischen. Entführungen und Attentate sind an der Tagesordnung und untergraben den Wiederaufbau.

Bergs Hinrichtung dürfte nach erster allgemeiner Einschätzung die wachsenden Zweifel in der US-Bevölkerung an der Irakmission nähren. Nach letzten Umfragen lehnt eine Mehrheit der Amerikaner den Irakkrieg mittlerweile ab. Doch der Mord könnte, auch wenn es zynisch klingt, Balsam für die Seele vieler Amerikaner sein. Seht her, wir haben zwar schwere Fehler gemacht, werden sie sagen, aber wirklich bestialisch sind die anderen. „Sicher, Amerikaner werden schockiert sein. Sie werden aber nun verkünden, die Bilder von Abu Ghraib seien weniger schlimm als eine Enthauptung“, glaubt Tom Rosenstiel, Direktor des „Projects for Exellence“, einer Mediendenkfabrik in Washington.

Angesichts der Furcht vor weiterer Rache und der Eskalation der Gewalt im Irak mehren sich die Stimmen im Kongress, alle weiteren Ermittlungen zum Folterskandal geheim zu halten. Es sei „unglücklich“, dass die Senatsanhörung mit General Taguba nicht hinter verschlossenen Türen stattgefunden habe, sagte der republikanische Senator Wayne Allard. Die Veröffentlichung der Misshandlungsfotos und die öffentlichen Anhörungen verstärkten „die Feindschaft auf der anderen Seite“. Die Forderungen können jedoch auch als Entlastungsmanöver für die Bush-Regierung verstanden werden. Gern würde das Weiße Haus Positives berichten, etwa über die abnehmende Arbeitslosigkeit. Doch alles wird bislang von der Folteraffäre überschattet. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dies durch die Hinrichtung Bergs rasch ändern wird.