Zwischen Hysterie und Schweigen

Die Hamburger Aids-Hilfe wird 20 Jahre alt und hat wenig Gründe, richtig zu feiern. Weniger Finanzmitteln steht eine steigende Zahl von Neuinfektionen gegenüber

Die Zeiten haben sich geändert. „In den achtziger Jahren hat der Virus eine Hysterie ausgelöst, heute spricht kein Mensch mehr darüber“, zieht Jörg Korell von der Hamburger Aids-Hilfe Bilanz. Es ist auch die Bilanz der eigenen Geschichte. Die als Selbsthilfeorganisation vor 20 Jahren gegründete Einrichtung, die in St. Georg beheimatet ist, feierte gestern ihr rundes Jubiläum.

Zehn hauptamtliche Mitarbeiter und rund 170 ehrenamtliche Helfer füllen die Räume der Aids-Hilfe und das ihr angeschlossene Beratungszentrum sowie die „Freiwilligen-Agentur Ehrensache“ mit Leben. Persönliche Beratung, Aufklärung und Information auch in Krankenhäusern, Gefängnissen und Schulen bilden den Schwerpunkt der Arbeit. Hamburg Leuchtfeuer, eine Tochter der Aids-Hilfe, bietet ein Versorgungsnetzwerk für Aids-Kranke, zu dem auch das Hospiz auf St. Pauli und die „psychosoziale Begleitung“ in St. Georg gehören.

Die Probleme in der alltäglichen Arbeit haben sich geändert. Bei vielen, in die Jahre gekommenen Klienten, zeigen sich immer deutlicher die psychischen und physischen Langzeitwirkungen der Infektion. Berufsunfähigkeit, Armut und Isolation kennzeichnen den Alltag vieler Erkrankter. Die Nebenwirkungen der medikamentösen Langzeittherapien auf Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse werden immer sichtbarer – Preis dafür, dass HIV-Infizierte mittlerweile eine durchschnittliche Lebenserwartung von 20 Jahren haben.

Zudem wenden sich immer mehr an Aids erkrankte Zuwanderer und Flüchtlinge, nach den homosexuellen deutschen Männern die zweitgrößte Gruppe der Infizierten, an das Zentrum. Ein besonderes Problem aber ist, dass die Gefahr der Ansteckung zunehmend aus dem öffentlichen Bewustsein verschwunden ist. „Immer weniger junge Menschen schützen sich, und da regelmäßige Tests aus der Mode gekommen sind, wird die Krankheit oft erst entdeckt wenn sie unübersehbar ausbricht und es für Therapien sehr spät ist“, weiß Korell aus der Beratungspraxis.

Die Zahlen des Berliner Robert Koch-Instituts geben ihm Recht. Die Zahl der bundesweiten Neuinfektionen hat 2003 die Zweitausender-Marke erstmals seit Jahren wieder überschritten. In Hamburg leben rund 4.500 Menschen mit dem Virus, bei etwa jedem Neunten ist Aids ausgebrochen. „Prävention ist das Gebot der Stunde“, appeliert Korell – und mag dabei nicht verschweigen, dass die Kürzung der städtischen Zuwendungen für die Aids-Hilfe, aber auch der Abbau der Spritzentauschautomaten in den Hamburger Haftanstalten die Arbeit nicht gerade leichter machen. Marco Carini