Härtefall Herd

Komfortables Wohnen für Behinderte: In einer Musterwohnung zeigt die Architektenkammer Bremen jetzt, wie Menschen mit Handicap das Leben Zuhause erleichtert werden kann

taz ■ Dieter Stegmann fährt mit seinem Rollstuhl unter das Waschbecken. Dort versperren ihm keine störenden Armaturen den Weg, mühelos bekommt er Wasserhahn und Seifenspender zu fassen. „Man muss ein Gebäude nicht nur erreichen, sondern auch benutzen können“, sagt Stegmann, Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behindete.

Wie das geht, zeigt ab heute eine Musterwohnung der Architektenkammer Bremen. Zum bundesweiten „Tag der Architektur“ demonstrieren die Veranstalter in der Landwehrstraße 44, wo einst eine Sparkassenfiliale ihre Geschäfte abwickelte, Untensilien des barrierefreien – sprich Behinderten gerechten – Wohnens.

Riesige Knöpfe machen hier das Telefonieren leicht, ein Treppenlift gleitet am Geländer frei stehender Stufen nach oben, grelle Lichtblitze erinnern Hörgeschädigte an die Türklingel. Ob Bad, WC, Küche, Wohn- oder Schlafzimmer – alle Bereiche des Lebens in den eigenen vier Wänden sind berücksichtigt.

Nicht nur Behinderte, sondern auch Architekten, private Häuslebauer und Pflegedienste sollen in dem Projekt künftig beraten werden – und zwar kostenlos. Die Architektenkammer zahlt für das Prestigehaus sogar noch 10.000 Euro drauf. Die größte Finanzspritze kommt allerdings in Form von 40.000 Euro vom Land Bremen. Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) glänzte so gestern mit richtig guter Laune: „Ausnahmsweise mault mich mal niemand an, dass wir Gelder streichen. Barrierefreiheit ist eben ein wichtiges Thema für uns.“

Die SPD-Fraktion hatte das Projekt seinerzeit ins Rollen gebracht. Mit der konkreten Umsetzung befasste sich Meike Austermann-Frenz von der Architektenkammer. „Glücklicherweise hat uns die Immobiliengesellschaft Gewoba die Räume hier zu sehr günstigen Mieten überlassen“, sagt sie. Seit Januar dauert jetzt der Umbau – „eine ziemlich langwierige Arbeit“. Wichtig ist Austermann-Frenz, dass es in der Licht durchfluteten 80 Quadratmeter-Wohnung nicht nur eine einzige, sondern viele Anregungen zum barrierefreien Wohnen zu sehen gibt: Toilettensitze in allen Formen und Größen, feste und verstellbare Waschbecken, Kücheneinrichtungen in Augenhöhe von Rollstuhlfahrern oder zum „Unterfahren“. Geplant sind außerdem Extra-Aktionen für Sehbehinderte und Taube.

„Bei allem, was wir hier machen, liegt der Teufel natürlich im Detail“, sagt die Archtitektin. Davor sind auch Einrichtungs-Profis nicht gefeit. Ein Beispiel: der Härtefall Herd. Die blinde Anette Paul vom Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen erkundet die Küche, tastet sich vor und muss schließlich feststellen, dass „ich nicht in der Lage wäre, diesen Backofen zu benutzen.“ Die Herd-Knöpfe sind zwar groß und rund und silber, dafür aber völlig flach. Die Temperatur blinkt in roten Zahlen – auf einem aalglatten LCD-Display.

Torben Waleczek