IG Metall nimmt Auszeit von der Auszeit

Streikunterbrechung in Brandenburg/Havel als Zeichen des „guten Willens“. Tarifverhandlungen heute fortgesetzt. In mehreren Betrieben streiken die Metaller aber weiter für die 35-Stunden-Woche – trotz Kritik aus den eigenen Reihen

„Beleidigung der Streikenden, die mit hohem Engagement kämpfen“

Die IG Metall rudert zurück. Gestern wurde der Streik für die Einführung der 35-Stunden-Woche auch in Ostdeutschland zumindest im Brandenburger Getriebewerk ZF ausgesetzt – als Zeichen des „guten Willens“ für die heutige neue Verhandlungsrunde. Beide Seiten rechnen mit schwierigen Gesprächen und haben sich darauf eingerichtet, das ganze Wochenende zu verhandeln. Am gestrigen Streik beteiligt waren gestern nur noch rund 7.700 Beschäftigte. In Berlin und Brandenburg streikten gestern noch rund 1.200 Beschäftigte, unter anderem bei DaimlerChrysler und ThyssenKrupp in Ludwigsfelde.

Vor Beginn der heutigen Tarifrunde zeigte sich denn auch der IG-Metall-Verhandlungsführer Hasso Düvel kompromissbereit. „Es gibt viele Stellschrauben, an denen wir drehen können.“ Die IG Metall wolle die Arbeitszeiten zwischen Ost und West angleichen. Vorstellbar sei aber, je nach Lage der Betriebe mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorzugehen. „Wir wollen hier eine Flexibilisierung.“ In der ostdeutschen Stahlindustrie hatte man sich bereits auf die Einführung der 35-Stunden-Woche bis 2009 geeinigt.

Ein Ergebnis, mit dem die streikende IG Metall heute wohl heilfroh wäre, weht ihr doch von allen Seiten der Wind ins Gesicht: Unternehmer, Politiker, Medien scheinen sich komplett einig darüber zu sein, dass der Streik die ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung gefährdet. Die Folge: Die Streikenden sehen sich zunehmend mit Streikbrechern konfrontiert, sogar die eigenen Reihen sind nicht mehr geschlossen. Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz forderte gestern, den Arbeitskampf abzubrechen. Die Streiks für die 35-Stunden-Woche seien niemals von einer breiten Bewegung in der Arbeitnehmerschaft getragen worden. Dabei hat sich die Voraussetzung für den Streik wenig geändert: Ziel ist es, die spürbare Produktivitätssteigerung der Branche im Osten in eine geringere Arbeitszeit umzumünzen.

Harsche Kritik an Franz’ Aussagen äußerte IG-Metall-Verhandlungsführer Hasso Düvel. Dies sei eine „unverschämte Beleidigung der Streikenden“. Zudem zeuge es von unglaublicher Naivität eines Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, ein komplettes Aussetzen der Streiks zu fordern, um eine Verhandlungslösung zu erleichtern. „Ein solches Vorgehen wäre Kapitulation mit anschließendem Betteln.“ Außerdem müsse ein solches Vorgehen von den zuständigen Tarifkommissionen und den Streikenden selbst in einer Urabstimmung entschieden werden. Die Streikfront stehe, und alles laufe gemäß den Planungen, zeigte sich Düvel sicher.

Die Brandenburger Getriebebauer, die in dieser Woche gestreikt hatten, seien gestern indes „erhobenen Hauptes“ zur Arbeit erschienen, wie Streikkordinator Bernd Thiele berichtete. „Die Kollegen der Spätschicht sind mit roten IG-Metall-Hemden zur Arbeit gegangen. Damit wollen wir zeigen, dass wir die Mehrheit und die Streikbrecher die Minderheit sind.“ Auch bei der Arbeit am Band und in den Maschinenhallen seien die Streikbrecher weitestgehend ignoriert worden. Sollten die Tarifgespräche am Wochenende keine Einigung bringen, könnte der Streik in der nächsten Woche wieder aufgenommen werden.

Auch Hermann von Schuckmann von der IG Metall Ludwigsfelde sieht weiteres Streikpotenzial. „Wir haben die Option weiterzumachen, wenn es zu keinem guten Abschluss kommt.“ Gestern sei eine Delegation Flensburger Werftarbeiter zur Unterstützung angereist, heute werde der Ver.di-Chef Frank Bsirske zu den Streikenden sprechen. Der Wunsch nach einer Angleichung der Arbeitszeit speise sich weniger aus der räumlichen Nähe zu Westberlin als vielmehr aus eigenen Erfahrungen. „Die meisten Kollegen haben schon in westdeutschen Werken gearbeitet.“ Dort hätten sie gesehen, dass sie in Ludwigsfelde genauso qualifiziert und produktiv seien, aber länger arbeiten müssten. „Wir wollen nicht mehr länger Beschäftigte zweiter Klasse sein.“ ROT