Das Aroma ist der Star

„Event-Gastronomie“ ist eine zweischneidige Sache: Denn ob Comedy, Kleinkunst, Musik und andere Sperenzchen gutes Essen nun wirklich besser oder gar zum „Ereignis“ machen, ist nicht nur eine Frage des Konzepts – egal ob blind oder bunt

VON CHRISTOPH RASCH

Der „Haupt-Act“ betritt seine Bühne feierlich und ruhig: Ganz friedlich ruht die Oldenburger Entenbrust auf ihrem Gemüsebett – wie im stillen Auge eines dreieinhalbstündigen Orkans: Umtost von Marschmusik und Clownerie, dem Wirbel umherflitzender Kellner in roten Uniformen, atemberaubender Artistik und dem Lärm scheppernder Tellerhauben, die wie zum Tusch über dem Mahl zusammenschlagen. The Duck has landed, routiniert wie an jedem Abend.

Das Konzept von „Pomp, Duck and Circumstance“ hat sich bewährt, seit August 2001 schon. Und das im viel beschworenen Minenfeld der Berliner Esskultur, das in Sachen Ereignisgastronomie allerdings, wie einschlägige Gourmetführer verraten, einiges zu bieten hat: vom Rundumblick aus dem Telecafé des Fernsehturms und singenden Kellnern im Charlottenburger „St. Germain“ über die Feuerschlucker in der Spandauer Zitadellenschänke oder den türkischen Bauchtanz, von Kunstauktion bis Kasperletheater scheint die Unterhaltungsauswahl an Berliner Tischen vielfältig. Doch nur wenige Konzepte haben es geschafft, über die Jahre ein großes und zahlungskräftiges Publikum anzuziehen.

Bei „Pomp Duck & Circumstance“ kommen im Monat 10.000 Entenbrüste auf den Teller – mindestens bis 2005 soll das auch so bleiben, sagt der Chef. Der sitzt an einem der hinteren Tische im Spiegelzelt am Gleisdreieick und begutachtet die Show. Hans-Peter Wodarz verlangt seinen Künstlern und Köchen eine Menge ab. Sein Lieblingsspruch – „Qualität kommt von Quälen“ – ist denn auch mehr als ein medienmundgerechter Slogan. Gerne erzählt Wodarz Anekdoten aus seinen Wiesbadener Chefkochzeiten. Seine ersten Varietéexperimente Ende der 70er-Jahre seien für ihn auch ein Ausbruch aus erstarrten Gourmetkonventionen gewesen, „in Zeiten, wo jeder Gast sein eigenes Weinthermometer dabeihatte und eitle Kellner sich selber Trinkgeld gaben“.

Und seit ihn ein Restaurantkritiker vom Michelin-Führer ermahnte – „Wenn du mit diesen Showeinlagen nicht aufhörst, bekommst du keinen zweiten Stern“ –, pfeift Wodarz auf Sterne und setzt stattdessen auf die Stars der Kleinkunst, die das essende Publikum zwischen den Gängen wahlweise faszinieren, amüsieren oder mal ein bisschen necken – aber ihm weder auf die Nerven gehen noch es beim Essen stören.

Dass diese Kunst nicht jedem gelingt, zeigt das frühzeitige Aus der „Palazzo“-Ess-Show von Promikoch Eckart Witzigmann im Januar. Der unausgegorene Abklatsch von Wodarz’ „Pomp Duck“-Konzept fand beim Berliner Publikum nicht recht Anklang. „Das Kalkül allein“, bekam der einstige Wodarz-Lehrmeister von seinen Kritikern zu hören, „reicht für den Erfolg nicht aus.“ Die Balance zwischen buntem Treiben und Essgenuss fand Witzigmann in Berlin offenbar nicht – doch beschwört er weiter die neue, bunte Esskultur, in der ganzheitliches Wohlbefinden gefragt sei statt kulinarischer Konventionen. „Man muss umdenken im Angebot“, sagte Witzigmann kürzlich bei einem Treffen von Gastronomen und Restaurantkritikern, „damit die Jugend bei der Stange bleibt.“ Die allerdings ist in der Pomp- und Palazzo-Preisklasse – rund 120 Euro pro Nase plus Getränke – eher selten zu Gast.

Am anderen Ende der Berliner Mitte, am anderen Ende der erlebnisgastronomischen Bandbreite empfängt einen zunächst einmal gelbliches, gedämpftes Licht. Dann geht es die Kellertreppe hinunter und durch die schweren Metalltüren einer „Lichtschleuse“ mitten ins kulinarische Herz der Finsternis. „Nocti Vagus“ heißt das „Dunkelrestaurant“, das seinen Gästen Essen in gänzlicher Umnachtung serviert. Im verdunkelten Kellersaal „müssen sich die Gäste den Namen ihres Kellners gut einprägen“, sagt Mitarbeiterin Astrid Gonszak, denn Winken hilft hier nichts. Gedämpfte Gespräche und gelegentliches Klappern von den 54 Tischen sind die einzigen Wahrnehmungen in der restlichtlosen Schwärze – neben einem anspruchsvollen Essen, versteht sich.

Das Auge isst hier nicht mit. Und die Gäste? „Die essen anders als sonst“, sagt Gonszak, „konzentrierter, länger – und manchmal enthemmter“, ohne störende Blicke der Tischnachbarn auch gern mal mit den Fingern. Die Küche setzt auf Frische und Bodenständigkeit: Schweinelendchen oder Havelzander bugsieren die teils sehbehinderten Kellner durch die Dunkelheit. Oder „Überraschungsmenüs“, die erst im Mund des Gastes entschlüsselt werden wollen. Intensivere Sinneseindrücke, ganz ohne Ablenkung – volle Energie auf die Geschmacksrezeptoren!

Zwei Jahre hat sich das Dunkelrestaurant gegen die hauptstädtische Gastrokonkurrenz behauptet. Die Idee stammt aus Zürich – und hat in Berlin schon mehrere Ableger bekommen: neben dem Nocti Vagus in der Prenzlberger Backfabrik auch in der Unsicht-Bar mit Restaurant in Mitte oder – zweimal im Monat – im Kreuzberger Abendmahl. Und bei allen geht es dann trotz der schon höchst sinnlichen Lichtlosigkeit nicht ohne Zusatzprogramm: Livemusik, Grusellesungen oder erotische Gedichte begleiten Geschmack und Aroma, das – im dezenten Dunkelrestaurant wie in der tosenden Varietéshow im Spiegelzelt – letzten Endes eben doch der eigentliche „Star“ bleibt.