Illegale Gentech-Bohnen

In Brasilien verläuft bei Gentech-Soja die Konfliktlinie mitten durch die Regierung: Das Agrarministerium drängt auf Freigabe, die Umweltministerin besteht auf dem Vorsorgeprinzip. Der Gentech-Multi Monsanto erhält Schützenhilfe aus Washington

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

„Selbst Jesus Christus wird uns nicht davon abhalten, hier weiterhin Gensoja anzupflanzen“, dröhnt Carlos Sperotto in die Mikrofone der versammelten Journalisten. Der bullige Mittsechziger ist Chef des Agrarverbandes Farsul und damit einer der mächtigsten Männer im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul.

Im modernen Konferenzzentrum des einheimischen Unternehmerverbandes hat Sperotto eine weitere Runde im Kampf um Köpfe organisiert. Aus dem ganzen Bundesstaat sind hunderte Bauern angereist. Im Foyer verkauft der Mexikaner Lorenzo Carrasco, ein Kumpan des rechten US-Verschwörungstheoretikers Lyndon LaRouche, sein Buch über die „grüne Mafia“.

Es ist viel von Wissenschaft und Obskurantismus die Rede. Ein pfiffig inszeniertes Theaterstück stellt die Gentech-Kritiker in die Tradition derjenigen, die sich schon immer Vorteilen medizinischer Entdeckungen widersetzt haben. In dieselbe Kerbe haut der Kanadier Patrick Moore, der wegen seiner Vergangenheit als Greenpeace-Pionier in den Siebzigerjahren gerne als gewendeter Umweltschützer durch die Welt tingelt. Mit Bedacht gipfelt sein flammendes Plädoyer für den „Fortschritt“ durch Gentechnik im Aufruf zum zivilen Ungehorsam.

Genau dies nämlich ist die Strategie, mit der die Gentech-Lobby in Südbrasilien Fakten geschaffen hat. Obwohl der kommerzielle Anbau von Gensoja in Brasilien seit September 1998 gerichtlich untersagt ist, haben sich in Rio Grande do Sul immer mehr Bauern darauf verlegt, ihre Felder mit Monsanto-Saatgut zu bestellen, das unter Bezeichnungen wie „Maradona“ oder „Mercedes 70“ über die argentinische Grenze eingeschmuggelt wird.

Über zwei Drittel der diesjährigen Sojaernte von gut 8 Millionen Tonnen dürften gentechnisch verändert sein. Da jedoch in den übrigen Bundesstaaten fast ausschließlich konventionell angebaut wurde, macht der Gensoja-Anteil nur etwa 10 Prozent der Gesamternte aus.

Das größte Argument für Klein- und Großbauern im Süden sind die im Vergleich zum herkömmlichen Anbau niedrigeren Produktionskosten, rund 30 Prozent. Denn noch genügt meistens eine Applikation des Monsanto-Pflanzengifts Roundup, das besser mit dem Unkraut fertig wird als die herkömmlichen Herbizide, die mehrfach gesprüht werden müssen. Dem Soja vom Typ Roundup Ready haben die Wissenschaftler des US-Multis ein Gen eingepflanzt, das es gegen das Produkt aus dem eigenen Hause resistent macht.

Bis Ende 2002 konnten die rebellischen Landwirte auf das stillschweigende Einvernehmen der Bundesregierung zählen, und der linken Landesregierung in Porto Alegre fehlten die Mittel, um das Verbot durchzusetzen. Seit den letzten Wahlen sitzen die Befürworter der Gentechnik in der bürgerlichen Landesregierung, aber auch im Landwirtschaftsministerium von Brasília. Umweltministerin Marina Silva hingegen hält das Vorsorgeprinzip hoch, demzufolge die Risiken für Gesundheit und Umwelt unkalkulierbar sind.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sitzt in der Zwickmühle: Behält er seine skeptische Haltung aus dem Wahlkampf bei, bringt er nicht nur die südbrasilianischen Landwirte, sondern auch Monsanto und die US-Regierung gegen sich auf. Macht er sich für die Freigabe stark, stößt er seine Basis in Form der Landlosenbewegung MST, Greenpeace und des Verbraucherverbandes Idec vor den Kopf.

Dort löste Ende März bereits sein als salomonischer Kompromiss gedachtes Dekret blankes Entsetzen aus: Denn erstmals ist der Verkauf von Gensoja nun für den einheimischen Markt freigegeben, wenn auch nur bis Januar 2004. Die kommende Aussaat dagegen soll wieder gentechfrei sein, bekräftigte José Dirceu, Lulas Chefstratege und rechte Hand im Präsidentenpalast, am Dienstag. Und João Paulo Capobianco, Umwelt-Staatssekretär für Artenvielfalt, kündigte scharfe Kontrollen an.

Damit ist allerdings noch nichts entschieden, zumal die Landwirte aus Rio Grande do Sul an ihrem Kurs festhalten wollen. „Wir haben das Gefühl, der Prozess ist unumkehrbar“, gibt sich der Bauernfunktionär Sperotto siegesgewiss und schlägt vor, den Status quo um weitere zwei Jahre zu verlängern. Da völlig unklar ist, wann die Justiz den Ball wieder aufgreifen wird, soll noch in diesem Jahr im Kongress von Brasília ein Gesetz zur Regelung verabschiedet werden – und dort haben die Gentech-Fans die Oberhand.

„Von der viel beschworenen Dialogbereitschaft der Regierung spüren wir nichts“, sagt die Idec-Verbraucheranwältin Andréa Salazar aus São Paulo ernüchtert. Selbst viele Abgeordnete der Arbeiterpartei PT, die zu Oppositionszeiten die Anti-Gentech-Kampagne mitgetragen hätten, hielten sich auffällig zurück. Umso aktiver zeigt sich die US-Botschaft, die gemeinsam mit Monsanto einer Delegation von Parlamentariern und Wissenschaftlern eine zehntägige Rundreise in die USA und nach Südafrika spendierte.

Auch George W. Bush habe bei dem Staatsbesuch Lulas vor einer Woche das Thema angesprochen, berichtete Dirceu. Lula habe erwidert, er suche den „Dialog mit der Gesellschaft“. MST-Sprecher Miguel Stedile aus Porto Alegre vertraut dabei auf die „Sensibilität des Präsidenten“.

Die Landlosenaktivisten, die befürchten, Monsanto könnte nach der Freigabe des Gentech-Anbaus die Kontrolle über die gesamte Nahrungskette erlangen und langfristig den Kleinbauern die Existenzgrundlage entziehen, wollen dabei durch öffentlichkeitswirksame Aktionen nachhelfen: Am 9. Mai verbrannten 3.000 DemonstrantInnen ein 9 Hektar großes Monsanto-Versuchsareal von Genmais bei Ponta Grossa im Bundesstaat Paraná, eine Woche später bauten 150 Landlose ein Zeltlager auf. Anfang Juni besetzten 2.000 Landlose eine Monsanto-Farm im zentralbrasilianischen Staat Goiás, worauf der Multi beklagte, das „Bild Brasiliens auf dem internationalen Markt und die Entwicklung der nationalen Landwirtschaft“ könnten Schaden nehmen.

Neben dem US-Präsidenten interessieren sich auch namhafte Globalisierungskritiker für Brasiliens Gentech-Kontroverse. Vor kurzem versuchte die indische Ökoaktivistin Vandana Shiva Umweltministerin Marina Silva mit einem Blitzbesuch Schützenhilfe zu geben. Und Peter Rosset von der kalifornischen NGO „Food First“ meint sogar, in Brasilien, dem nunmehr größten Sojaexporteur, stehe die Zukunft Monsantos auf dem Spiel: Wenn dieser Markt verschlossen bleibe, drohe dem angeschlagenen Multi der Bankrott.