Im Weißen Haus denkt man allmählich über Rückzug nach

Es wird unwahrscheinlicher, dass die US-Truppen als Sieger gehen. Vielleicht werden sie Ende Juni nach der wiedererlangten Souveränität von den Irakern selbst vor die Tür gesetzt

WASHINGTON taz ■ Die öffentliche Debatte in den USA wird nach wie vor vom Umgang mit dem Folterskandal dominiert. Aufsehen erregten dabei am Donnerstag das Eingeständnis von Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, der erstmals Verstöße des eigenen Militärs gegen die Genfer Gefangenenkonvention einräumte und damit seinem Chef Donald Rumsfeld widersprach. Der Verteidigungsminister hatte einen Tag zuvor ausgesagt, alle Verhörmethoden seien rechtlich wasserdicht, da von Pentagon-Anwälten abgesegnet. Danach war er zu einer hastig organisierten PR-Show in den Irak aufgebrochen, wo er vor allem seine eigene Standfestigkeit gegen die Rücktrittsforderungen pries – eine Aktion, die auch nicht verhindern konnte, dass immer mehr Generäle gegen ihn rebellieren.

Der wachsende Unmut der militärischen Führung, sowohl in den Fluren des Pentagon als auch in den Kommandozentralen im Irak, ist dem Eindruck geschuldet, sich mittlerweile in einem politischen Vakuum zu befinden, was die US-Strategie im Zweistromland anbetrifft. Die Folteraffäre hat die Handlungsstarre der US-Regierung in der Frage: „Wie weiter im Irak?“ nur noch verschärft.

Die Befehlshaber vor Ort fühlen sich vom Weißen Haus und den zivilen Planern im Pentagon im Stich gelassen und gehen daher Wege, die vor wenigen Monaten noch für undenkbar gehaltenen wurden: Sie schließen pragmatische Pakte mit lokalen Milizen, Ex-Baathisten im Süden und Anti-Baathisten im Norden. Warum das Leben von GIs riskieren, wenn der Wind sich in Washington jederzeit drehen kann und Abzug befohlen wird?, mögen sie denken.

Die offizielle Parole heißt weiterhin durchhalten, den Irak stabilisieren, die Aufständischen besiegen und die Transformation absichern. Doch in der US-Hauptstadt mehren sich Stimmen, die den Guerillakrieg spätestens nach den Folterbildern für nicht mehr gewinnbar halten. So ist durchgesickert, dass hinter den Kulissen fieberhaft nach einer exit strategy gesucht wird, die zwei Ziele verknüpft: Bush im Ausland das Gesicht wahren zu lassen und den Krieg zu Hause irgendwie als Erfolg zu verkaufen.

Ein rascher Rückzug käme für Präsident Bush einem Scheitern gleich und dürfte allein aus Sicherheitsgründen nicht ernsthaft erwogen werden. Angesichts sinkender Popularität des Präsidenten und wachsender Ablehnung des Irakkrieges unter Amerikanern könnte sich das Weiße Haus vor den anstehenden Wahlen im Herbst jedoch gezwungen sehen, einen nahen Zeithorizont, vielleicht Anfang 2005 nach den Wahlen im Irak, für den Abzug anzuvisieren.

Anlass für Spekulationen hierzu gab auch die Ankündigung von Rumsfeld, die Truppenstärke im Irak nur geringfügig auf 135.000 Soldaten zu erhöhen, obwohl alle Militärexperten eine weit höhere Zahl fordern, um das Land halbwegs zu befrieden.

Dem Establishment dämmert überdies, dass die USA bald ohnehin nicht mehr den Lauf der Dinge im Irak bestimmen werden, sollte ihr Demokratieversprechen nicht zur Farce verkommen. So warnten Kongressabgeordnete bereits vor einem erzwungenen Abzug der US-Truppen nach der Übergabe der Souveränität an die Iraker Ende Juni.

Ähnlich äußerte sich US-Zivilverwalter Paul Bremer am Freitag in Bagdad, indem er einen Rückzugs der USA aus dem Irak in Aussicht stellte. Es sei nicht möglich, sagte er, in einem Land zu bleiben, wo die USA „nicht willkommen“ seien. Wenn die irakische Übergangsregierung einen Abzug fordere, würden sich die USA zurückziehen.

MICHAEL STRECK