Gerichts-Geschenk zum CSD

Das Oberste Gericht der USA verbietet Texas und anderen Bundesstaaten, einvernehmlichen schwulen und lesbischen Sex weiter unter Strafe zu stellen. Konservative sind empört, die Homosexuellenverbände feiern einen historischen Sieg

aus Washington MICHAEL STRECK

Lesben und Schwule drängten am Donnerstagnachmittag auf die Straßen in San Francisco und New York und feierten ausgelassen. Schwule Soldaten holten im Castro-Bezirk, der Homosexuellenhochburg der Westküstenmetropole, Regenbogenfahnen ein, hissten die US-Flagge und sangen die Nationalhymne. Vor den Stufen des Obersten Gerichtshofes in Washington brachen Menschen in Tränen aus.

Soeben hatten die höchsten Richter der USA ein Gesetz des Bundesstaates Texas zum Verbot homosexuellen Geschlechtsverkehrs außer Kraft gesetzt. Das so genannte Anti-Sodomie-Gesetz sei nicht vereinbar mit dem in der Verfassung garantierten Schutz der Privatsphäre, urteilten die Richter mit einer 6:3-Mehrheit. Das Grundsatzurteil schafft damit ebenso ähnliche Gesetze in zwölf anderen Bundesstaaten ab, die neben gleichgeschlechtlichem Sex auch orales und anales heterosexuelles Liebesspiel verbieten.

Im vorliegenden Fall hatte die Polizei 1998 zwei Männer in Houston wegen homosexuellen Geschlechtsverkehrs festgenommen. Die Beamten waren auf der Jagd nach einem flüchtigen Verbrecher versehentlich in die Wohnung der beiden Männer eingedrungen und hatten sie beim Sex überrascht. Das Paar wurde wegen „widernatürlichen Geschlechtsverkehrs“ verhaftet, eine Nacht eingesperrt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Von einem „historischen Sieg“ spricht die New York Times. „Das Urteil öffnet ein völlig neues Kapitel im Kampf um unsere Rechte“, sagt Ruth Harlow, Chefjuristin der Homosexuellen-Organisation Lambda Legal Defense. Die historische Entscheidung verspreche eine wirkliche Gleichberechtigung für Schwule und Lesben in Beziehungen, Familien und im Alltagsleben.

Das Urteil im Fall Lawrence and Garner vs. Texas No. 02-102 ist insofern überraschend, da sich die obersten Richter mit dem Spruch selbst revidieren. Im Jahre 1986 hatten sie entschieden, dass ein Gesetz gegen gleichgeschlechtlichen Sex im Bundesstaat Georgia verfassungskonform sei. In Texas drohte Homosexuellen bisher eine Strafe bis zu 500 Dollar. Die Entscheidung der keineswegs liberalen Richter ist somit auch ein Indikator, wie sehr sich die US-amerikanische Gesellschaft trotz einer traditionell-konservativen Grundstimmung gewandelt hat, und schlichtweg die Anerkennung von Tatsachen. Rund 600.000 Haushalte mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sind in den USA registriert.

Was die Liberalen triumphieren lässt, stößt den Konservativen des Landes jedoch bitter auf. Richter Antonin Scalia, der die Minderheitsmeinung vertrat, spricht von einem „kulturellen Krieg“ und sieht die Ordnung der US-Gesellschaft erodieren. Viele Amerikaner würden sich Schwule und Lesben nicht als Geschäftspartner, Lehrer und Kinderbetreuer wünschen, da ihr Lebensstil „unmoralisch und zerstörerisch“ sei, glaubt er. Befürworter der „Anti-Sodomie-Gesetze“ ereiferten sich nach dem Urteilsspruch in Talkshows und sehen den Untergang des christlichen Abendlandes nahe. Ihre größte Angst: die Legalisierung homosexueller Ehen, wie vor einer Woche in Kanada geschehen.

Die Debatte um dieses Ziel – von Bürgerrechtsverbänden, Schwulen und Lesben sehnlichst herbeigewünscht – ist nun voll entbrannt und die Konsequenzen des Urteils könnten bald über die Intimsphäre geschlossener Schlafzimmer hinausreichen. Denn die Gesetze gegen homosexuellen Sex dienten als Legitimation, Homosexuellen das Recht auf Ehe, Adoption und Kinderfürsorge zu verweigern.

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