Extreme Erinnerungen

Abel Paz, Zeitzeuge des Spanischen Bürgerkrieges, liest aus seiner Biographie des Anarchisten Buenaventura Durruti

Wer ist Durruti? Merkwürdig, dass diese Frage noch gestellt werden muss, handelt es sich bei dem spanischen Anarchisten doch um eine der abenteuerlichsten und umstrittensten Figuren des frühen 20. Jahrhunderts. Damit dieser Missstand aufgehoben wird, hat die Hamburger Edition Nautilus die monumentale Durruti-Biographie von Abel Paz Anfang des Jahres neu aufgelegt. Auf 730 Seiten inklusive reichhaltigem Anhang und historischen Fotostrecken verfolgt Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten die persönliche und politische Entwicklung des umstrittenen Untergrundkämpfers und Gewerkschaftsführers – und fesselt dabei wie ein Abenteuerroman.

Der Leser begleitet Durruti durch Streiks und Straßenschlachten, Exil und Gefangenschaft, konspirative Treffen und ideologische Auseinandersetzungen. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor den Ereignissen in der Zeit vom 19. Juli bis zum 20. November 1936, die Enzensberger in seiner Bearbeitung des Themas als „den kurzen Sommer der Anarchie“ bezeichnet hat: die letzten fünf Monate im Leben Durrutis, der maßgeblich an der Niederschlagung des faschistischen Putschversuches in Barcelona beteiligt war und unter mysteriösen Umständen im belagerten Madrid ums Leben kam.

Anhand eines extremen Lebenslaufes erzählt Paz dabei die Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung, des Beginns des spanischen Bürgerkrieges – und damit auch seine eigene. Denn die Biographie des Autors ist eng mit den Ereignissen des Jahres 1936 verwoben. Sie erklärt den schmalen Grat zwischen wissenschaftlicher Distanz und engagierter Stellungnahme, den Paz zu meistern hatte. 16-jährig trat er 1935 selbst Durrutis Gewerkschaft CNT bei. Es folgten Jahre erbitterten Kampfes um die junge Republik, bis Paz 1939 nach Frankreich fliehen musste und dort drei Jahre lang gefangen gehalten wurde. Ab 1942 leistete er Widerstand in der libertären Guerilla und wurde nach erneuter Gefangennahme bis 1953 in Francos Lagern interniert.

Da überrascht es nicht, dass Paz sich nicht als Historiker, sondern als „Erzähler erlebter Ereignisse betrachtet“. Seine Analyse der Entwicklung der spanischen Arbeiterbewegung ist dabei gleichzeitig ein Plädoyer für die Geschichte der Besiegten: „Es gibt die offizielle Geschichtsschreibung, die nur von Siegen und Niederlagen erzählt ... und dann kann man noch Geschichte von unten betrachten und auf diese Weise etwas lernen.“ Zehn Jahre lang hat sich Paz für diese Betrachtungen Zeit genommen, hat Archive durchstöbert und Dabeigewesene aus aller Welt interviewt. Wenn der 82-Jährige heute im Buchladen in der Osterstraße lesen wird, steht nicht nur einer der letzten, sondern auch einer der bestinformierten Zeitzeugen persönlich zur Diskussion bereit. JAKOB KIRCHHEIMER

Lesung: heute, 20 Uhr, Buchladen in der Osterstraße (Osterstr. 171).Abel Paz: Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten. Hamburg: Edition Nautilus 2003, 736 S., 25 Euro