Psycho der Anklage

Mobbing-Prozess: Verfahren gegen Mobbing-Berater Alfred Fleissner geht in die zweite Runde. Opfer ist mit 31 Jahren Rentnerin und kein Einzelfall

„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, an den Brückenpfeiler zu fahren“

von KAI VON APPEN

Es gibt Verfahren, da fragt mensch sich, warum sie überhaupt stattfinden. Und ein solches geht bereits in die zweite Runde: Vor dem Hamburger Landgericht muss sich ab heute der Mobbing-Experte Alfred Fleissner wegen Beleidigung verantworten. Der Hirnforscher an der Uniklinik Eppendorf und ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Vereins „Klima“ vertritt als Berater Opfer von psychischer Gewalt. Er soll den Oberfinanzdirektor Alois Schikora in einem Telefonat als „Psychoterroristen“ bezeichnet haben. Obwohl das Amtsgericht ihn freigesprochen hat, ist die Staatsanwaltschaft auf Druck des Rechtssenats in die Berufung gegangen.

Es gibt perfide, aber durchaus wirksame Formen, unliebsamen KollegInnen den Alltag zu vermiesen. Beispiel: Carmen Merkel (*): Sie ist Werbekauffrau in einem großen Hamburger Unternehmen. Nachdem sie Betriebsrätin wurde, fiel sie bei ihrem Chef in Ungnade. Aus dem vielleicht noch nett gemeinten: „Liebste, würdest Du mal zur Präsentation in mein Büro kommen“, wurde ein barsches: „Frau Merkel, bitte zum Rapport in mein Zimmer.“

Damit könnte die selbstbewusste M. noch leben. Doch als ihr Chef sie vor kurzem zu einem Repräsentations-Meeting ins Hamburger Umland schickte, tickte sie beinahe aus. „Als ich ankam, wurde ich nicht zur Präsentation unseres Produktes eingesetzt, sondern von meinem Chef ignoriert, gegenüber den Kunden abgekanzelt und dann mit einem selbstherrlichen Befehl zum Kistenschleppen ins Lager beordert“, schildert sie. „Grinsend – wie eine Spannerrunde – sahen er und die Geschäftspartner zu, wie ich auf hohen Hacken und im engen Kostüm Kisten schleppte“, berichtet sie weiter. „Ich fühlte mich so gedemütigt, dass ich auf der Rückfahrt nach Hamburg im Auto wirklich mit dem Gedanken gespielt habe – nach all den anderen Vorfällen – an den nächsten Brückenpfeiler zu fahren.“

Auch Heike S. (*) – im konkreten Fall Fleissners Patientin – hatte sich ihren Job als Zöllnerin anders vorgestellt. Dass sie als Frau in einer Männerdomäne es nicht einfach haben würde, war ihr natürlich klar. Doch das, was eingetreten ist, überforderte selbst die 31-jährige Frau. Täglich wurde sie getriezt und war den Anzüglichkeiten ihrer männlichen Kollegen im Revier ausgesetzt. Bei einem Betriebsausflug ließ ein Kollege regelrecht die Hosen runter, die anderen grölten und feuerten ihn an.

Als S. den Vorfall intern meldete, wurde sie versetzt. Ihr wurde die Dienstwaffe abgenommen, weil sie trotz anders lautender Gutachten „psychisch untauglich“ sei. Als „hysterische Emanzenkuh“ abgekanzelt wurde sie in den Innendienst abkommandiert. Der Zeuge des Vorfalls, der Dienststellenleiter, wurde als Ermittler beauftragt. Inzwischen ist die sportliche Frau in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden.

In diesen Fall hatte sich Fleissner eingeklinkt und die Moderation zwischen Behördenleitung und der Betroffenen eingeleitet. Dafür steht er nun vor Gericht.

(*) Namen geändert