Der rhythmische Wirbelwind

Bei den Berlin Masters schlagen sich die deutschen Gymnastinnen achtbar, landen aber auf den hinteren Rängen. Die internationale Konkurrenz ist technisch besser

Als der Plüschhund von den Rängen flog, war Raissa Feldmann schon auf dem Weg aus dem Innenraum der Max-Schmeling-Halle. Bei den Berlin Masters der rhythmischen Sportgymnastik hatte die kleinste deutsche Gymnastin gerade ihre Kür mit dem Ball beendet. Die Punktrichterinnen bewerteten die schwungvolle Darbietung des „kessen Wirbelwindes“ (Hallensprecherin Conny Marquardt) mit eher mageren Noten. Weil Feldmann schon in dem als Brandenburger Tor stilisierten Ausgang verschwunden war, konnte sie der als Trostspender gedachte Hund nicht mehr aufmuntern. So verbrachte das Tier den Nachmittag trist dreinblickend neben dem Stuhl einer Kampfrichterin.

Dabei hätte der kleine Hund wegen der Leistungen der drei deutschen Gymnastinnen gar nicht so traurig gucken müssen. Raissa Feldmann, Eugenia Ramich und Lisa Ingildejewa landeten beim Mehrkampf-Grand-Prix am Samstag zwar auf den hinteren Rängen. Doch angesichts der geballten internationalen Konkurrenz, die sich in Berlin tummelte, waren ihre Leistungen alles andere als schlecht. Zumindest entsprachen sie den momentanen Möglichkeiten der Deutschen.

„Vor uns liegt ein langer Weg, um die Besten der Welt zu erreichen“, sagt Cheftrainerin Livia Medilanski. Mit Fleiß und Optimismus müsse man sich langsam der Phalanx der Gymnastinnen aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken nähern. Am Wochenende wurde deutlich, woran es derzeit vor allem mangelt: Den deutschen Athletinnen fehlt die atemberaubende Technik der Osteuropäerinnen. Bei allen vier Handgeräten – Reifen, Ball, Keulen und Band – erzielten sie bei der Techniknote deutlich schlechtere Werte. Ohne Technik aber keine Ästhetik, und gerade die spielt in den Augen der Punktrichterinnen die ausschlaggebende Rolle.

Allein das Reglement verhinderte, dass gestern ausschließlich die direkt qualifizierten Gymnastinnen aus Russland, der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan die Einzelfinals unter sich ausmachten: Der ausrichtende Verband erhält pro Handgerät eine „Wild Card“, sollte sich keine der eigenen Starterinnen direkt qualifizieren. So rückten Eugenia Ramich (Ball) und Lisa Ingildejewa (Reifen, Keulen und Band) in die Finals. Die beiden sind derzeit die besten deutschen Gymnastinnen.

Die in Moskau geborene Ingildejewa, mit 14 Jahren Jüngste im Starterfeld, schlug sich mit dem Reifen gegenüber der Weltelite achtbar und wurde Neunte. Die Konkurrenz entschied die Ukrainerin Anna Bessonowa vor ihrer Landsfrau Tamara Jerofejewa für sich. Mit dem Ball erturnte sich die Bulgarin Simona Peychewa den ersten Rang vor dem Publikumsliebling Alina Kabajewa aus Russland. Eugenia Ramich erreichte den neunten Rang.

Lisa Ingildejewa gilt als ganz große Hoffnung der deutschen Sportgymnastik. Trotz ihres jungen Alters ist sie bereits fünffache deutsche Meisterin. Bei den Europameisterschaften Anfang April in Riesa hatte sie sich unter anderem mit einem neunten und einem zehnten Platz viel Respekt erturnt. Vor ihrem ersten Grand-Prix-Turnier schien die 14-Jährige entspannt: „Ich will nur für das Publikum turnen, die Ergebnisse kommen von ganz alleine“, war das Einzige, was sich die junge Dame entlocken ließ.

Getreu dem Motto der Cheftrainerin: „Ich sage zu den Mädchen: Ihr sollt schön turnen“, erklärt Medilanski. Im September stehen bei der WM in Budapest auch die Qualifikationen zu Olympia 2004 an. Unter zu großen Erfolgsdruck möchte die Bundestrainerin ihre Schützlinge dennoch nicht setzen. Doch Medilanski weiß auch: „Dabei sein ist das eine, gute Leistungen zeigen das andere.“ Und die sind notwendig, um sich für Olympia zu qualifizieren. MARTIN GROPP