berliner szenen Identitätsprobleme

Wer bin ich?

Der Künstler Peter Kees hat in seiner Galerie in der Belforter Straße 9 eine „Identitätskontrollstelle Berlin“ eröffnet. An den Wänden des „Amtszimmers“ hängen so genannte Identitätsblätter, die Angaben über Merkmale der genetischen, persönlichen und sozialen Identität der Besucher enthalten. Vier Passbilder kleben in der rechten oberen Ecke, in einem Plastikbeutel befindet sich „DNA-fähiges Material“: eine Zigarettenkippe, Hautfetzen, Fingernägel, Blut, Speichel oder Haarsträhnen. Neonröhren strahlen einen Schreibtisch an, den das Bezirksamt Prenzlauer Berg kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Dahinter ein Mann mit schwarzer Hornbrille, schwarzem Hemd und schwarzer Hose – Peter Kees. Er tippt die Angaben seiner Gäste in eine alte Olympia-Schreibmaschine. Eine Frau setzt sich ihm gegenüber in den braunen Sessel und diktiert Kees ihre Merkmale. Sie sagt, dass sie 100 Prozent chinesisch, 1973 in Peking geboren sei und nun in Berlin lebe. Sie gibt an, unruhig und manchmal böse zu sein, und bittet Kees, unter Punkt 8, in der Rubrik „Identitäts-Utopie“, „weniger Erwartung“ einzutragen.

Kees holt eine Tüte aus der Schublade, gibt der Chinesin eine Kinderschere und sagt, er brauche jetzt noch „DNA-fähiges Material“. Die Chinesin nimmt ihre etwa ein Meter langen Haare, schneidet vorsichtig an einer Stelle die Spitzen ab und lässt sie aufs Papier rieseln. „Reicht das“, fragt die Chinesin und schaut ungläubig auf die vier Haare vor ihr. „Das reicht“, sagt Kees.

Ein Mann, der die Szene beobachtet hat, greift sich ein „Identitätsblatt“ vom Stapel und geht schnell zur Tür. „Wo wollen Sie denn hin?“, fragt Kees. „Ich lass mich erfassen“, beteuert der Mann, „aber nicht heute. Ich muss mir erst überlegen, wer ich bin.“ JAN BRANDT