Die frohe Botschaft des heiligen Latex

Die „Schwestern der perpetuellen Indulgenz“ verteilen beim CSD in Nonnentracht Kondome und Ablassbriefe.Der 1979 in San Francisco gegründete Orden sammelt für Aids-Hilfsorganisationen und hat ein Ohr für HIV-Positive

Sie kommen natürlich zu spät. Als schon die ersten Wagen auf dem Ku’damm vorbeigerollt sind, rauschen die Schwestern endlich herbei. Das aufwendige Make-up braucht eben seine Zeit: Die Schwestern sind frisch rasiert, haben die Gesichter ganz weiß geschminkt. Lange falsche Wimpern und bunter Lidschatten sind farblich abgestimmt auf Kleid, Häubchen und Schleier.

Die vier Schwestern sind in Nonnentracht erschienen, Bruder Pumilio schwitzt in seiner Mönchskutte. Im Schlepptau haben sie einen Ledermann mit Harnisch, der eine große Schale mit Kondomen, Gleitmitteln und Safer-Sex-Broschüren trägt. Denn die Schwestern sind nicht nur zum Vergnügen beim CSD: Sie wollen die frohe Botschaft des heiligen Latex verkünden.

Seit zwölf Jahren gibt es die „Schwestern der perpetuellen Indulgenz“ als eingetragenen Verein in Berlin. „Perpetuelle Indulgenz“, das steht sowohl für „ewigen Ablass“ wie auch für „unablässige Ausschweifung“. Der konfessionsübergreifende Orden wurde 1979 in San Francisco gegründet. Heute gibt es Mütterhäuser in sieben Ländern. Ganz in der Tradition der Nonnen tun die Schwestern ihren mildtätigen Dienst an der Gemeinschaft: Sie verteilen Safer-Sex-Utensilien und sammeln Spenden für Aids-Hilfsorganisationen. Gegen milde Gaben verkaufen sie Ablassbriefe und erteilen damit Absolution von jeder Schuld, die der fromme Sünder durch sein ausschweifendes Sexualleben auf sich geladen hat.

Sehr würdevoll legt Schwester Gabriela einem jungen Sünder am Nollendorfplatz die rechte Hand auf den Kopf und spricht ihn mit getragenem Ton von seiner Schuld los. Der Spruch endet mit einem „A-men, A-women, A- transgender“. „Wir wollen den Leuten den ewigen Schuldgedanken nehmen“, erklärt Schwester Gabriela. „HIV-Betroffene werden von der Gesellschaft für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht: ‚Du bist selbst schuld mit deinem Lebensstil‘.“

Ihre Nonnentrachten haben die Schwestern selbst geschneidert. „Die Trachten aus Spezialläden für Kirchenaccessoires kann sich eine normale Nonne gar nicht leisten“, klagt Schwester Vulcana. Mit den hohen Häubchen und den langen Schleiern zieht die Gruppe auch auf dem CSD viel Aufmerksamkeit auf sich. Immer wieder werden sie gebeten, ihre mildtätige Arbeit für ein Foto zu unterbrechen.

Die Nonnentracht ist nicht nur Provokation, sie symbolisiert auch Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft, betonen die Schwestern. Und sie sorgt für Sichtbarkeit: „Wer in den Szeneclubs mit Darkroom unsere weiß geschminkten Gesichter sieht, weiß, da gibt es Kondome“, sagt Bruder Pumili. „Wir wollen keine Moralapostel sein, eher eine Art gutes Gewissen.“ Die Schwestern verstehen sich als eine Anlaufstelle für alle, die Hilfe brauchen. „Wir können zuhören, wenn jemand HIV-positiv ist oder einen geliebten Menschen verloren hat. Wir sind zwar keine Seelsorger oder Psychologen, aber wir können gezielt weitervermitteln.“

Die Schwestern sind überall unterwegs in der Community. Im Namen der HIV-Prävention versuchen sie auch die grundsätzliche Abneigung zwischen Tunten und der Lederszene zu überwinden. „Wenn wir in Lederläden auftauchen, kriegen wir oft Sachen unter der Gürtellinie zu hören“, so Schwester Gabriela. Doch mittlerweile organisieren sie sogar Veranstaltungen gemeinsam mit dem Berliner Leder- und Fetischclub. Als der CSD-Wagen der Ledermänner vorbeifährt, treffen die Schwestern darunter ein paar Bekannte und ziehen mit diesen weiter. Ihre weißen Gesichter und zarten Häubchen verschwinden im Pulk der Lederhosen, Handschellen und Käppis.

WIBKE BERGEMANN

Infos: www.dieschwestern.de