Kein Geld für papierlose Kranke

Medizinische Beratungsstelle für Flüchtlinge in Altona steht nach zehn Jahren vor dem Aus, da die Kassen leer sind. Ärzte fürchten den Vorwurf der „Gefälligkeitsatteste“. Einrichtung eines Sozialversicherungsfonds gefordert

von KATHLEEN FIETZ

R. aus Ecuador hat ein Loch im Zahn, B. aus Togo klagt über eine Krampfader, und O. aus Kurdistan sucht einen Arzt für seine Nichte, die seit einem Unfall auf dem Spielplatz unter Rückenschmerzen leidet. Die Menschen, die in die Medizinische Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen in der Altonaer Hospitalstraße kommen, haben neben ihren Gesundheitsbeschwerden eins gemeinsam: Sie haben keine Papiere.

„Die meisten haben normale Beschwerden, aber es gibt auch immer wieder Fälle, bei denen es um Leben und Tod geht“, so Ulrike Mahler von der Beratungsstelle. Eine hochschwangere Frau kam mit Blutungen zur Beratung, weigerte sich aber, ins Krankenhaus gebracht zu werden, aus Angst, abgeschoben zu werden. Sie ging das Risiko ein und wartete bis zum nächsten gynäkologischen Termin, den ihr die Beratungsstelle organisieren konnte.

Jeden Montag von 15 bis 18 Uhr vermitteln die MitarbeiterInnen Menschen ohne Papieren ÄrztInnen und begleiten sie oft zu den Arztbesuchen, um zu übersetzen. Seit zehn Jahren arbeiten in der Beratungsstelle MedizinstudentInnen, KrankengymnastInnen und Menschen aus anderen Berufsgruppen ehrenamtlich, etwa 40 ÄrztInnen untersuchen die PatientInnen umsonst. Die Kosten für Laboruntersuchungen, Operationen und Medikamente übernahm bisher die Beratungsstelle. Doch das ist jetzt vorbei. Die Kasse der Einrichtung, die sich ausschließlich über Spenden finanziert, ist leer.

„Die Ärzte steigen uns aufs Dach, da wir die Rechnungen aus dem letzten halben Jahr nicht bezahlen können“, so Mitarbeiter Orlando Torres, der früher selbst Klient war. Mit jeder Verschärfung der Gesetze kämen mehr PatientInnen, die auf der Suche nach einem Arzt sind. „Viele Ärzte wollen niemanden umsonst behandeln oder haben Angst, sich strafbar zu machen“, erzählt Mahler. „Ärzte haben die Pflicht, Menschen in Not zu helfen, ansonsten machen sie sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar.“, stellt Anwalt Hartmut Jacobi klar.

„Eine Strafbarmachung bei der Behandlung von papierlosen Menschen ist eindeutig nicht gegeben. Der hypokratische Eid von Ärzten ist höher gestellt als das staatliche Recht“, erklärt der Psychiater Klaus E. Weber. Er ist einer der fünf Ärzte, die vor vier Jahren wegen angeblicher Ausstellung so genannter „Gefälligkeitsatteste“, die die Abschiebung von Flüchtlingen verhindern sollten, angeklagt wurde. Die Ausländerbehörde beauftragte die Ärztekammer, die Atteste zu prüfen, diese stellte ihre Richtigkeit fest, und das Verfahren wurden Anfang dieses Jahres offiziell eingestellt. „Die Einschränkung durch die Gesetze ist schlimm genug. Um so wichtiger ist es, als Arzt nicht in die Defensive zu gehen, sondern sich zu wehren“, fordert Weber und tritt für die Schaffung eines Sozialversicherungsfonds für Flüchtlinge ein.

Mit Spendenaufrufen und der Planung von Soli-Konzerten im Sommer versucht die Medizinische Beratungsstelle jetzt wieder an Gelder zu kommen, um die Schließung der Einrichtung zu verhindern.

Die Medizinische Beratungsstelle ist montags von 15 bis 18 Uhr unter ☎ 38 57 39 erreichbar. Spendenkonto: Hamburger AK Asyl, Kto. 621976209, Postbank (BLZ 200 100 20), Stichwort: Medizinische Flüchtlingshilfe