schwabinger krawall: leberkäs und kirschen von MICHAEL SAILER
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Touristen, sagt Herr Hammler, seien ihm grundsätzlich egal, solange sie irgendwann wieder dahin gehen, wo sie hergekommen sind. Aber wenn alle Viertelstunde ein Schock jodelnder Amis und Japaner am Chinesischen Turm einfalle, unter wildem „Brust!“-Geschrei mit halb voll eingeschenkten Maßkrügen in der Gegend herumklirre und nach zehn Minuten unter Zurücklassung der viertelvollen Maßkrüge wieder davonstaube, um am Seehaus den gleichen Firlefanz noch einmal aufzuführen und schließlich Berge von Leberkäs ins Gebüsch zu erbrechen, dann sei das nicht nur ein Schlag gegen die sowieso verheerende Schankmoral, sondern dann sei ihm überhaupt der ganze Englische Garten verleidet.

Er solle doch tolerant sein, sagt Frau Hammler, schließlich wolle auch ein Japaner einmal einen Leberkäs essen, und wo München statistisch immer schöner werde, sei es kein Wunder, dass immer mehr Touristen kommen. München sei ihm wurst, brüllt Herr Hammler, in Schwabing gebe es nichts zu sehen außer neuen Betonhochhäusern, die auf der ganzen Welt herumstehen, und einen Leberkäse könne sich sogar ein Japaner notfalls selbst zubereiten, da brauche man bloß Wurstreste in den Mixer schmeißen und einen Senf dazuschmieren; seiner Meinung nach allerdings sei ein Leberkäs von Haus aus nicht zum menschlichen Verzehr geeignet, was in diesem Fall den Japaner mit einschließe, und im Übrigen sei er es leid, sich von den Flugzeugen, mit denen die Touristenmassen ins Land hereinschwappen, das Klima vernichten zu lassen. Seine Rede wird von Blitz und Donner unterbrochen; alles weitere ist wegen dem auf die im Hof zu Frühlingszwecken bereitgestellten Gartenmöbel niederprasselnden Hagelschauer nicht mehr zu verstehen.

Als der Hagel in Schnürlregen übergegangen ist, meint Frau Hammler achselzuckend, das seien eben die Eisheiligen. Diese, brüllt ihr Mann, hießen Pankraz, Servaz und Bonifaz und nicht Walburga, Athanas, Eberward, Florian, Tarbo, Edbert, Flavia, Beatus, Gangolf und sonstwie, weswegen es ganz und gar sämtlichen Regeln widerspreche, dass seit Anfang Mai ein amerikanisch-japanischer Froststurm nach dem anderen daherkomme. Er solle doch froh sein, sagt seine Frau, ohne schönes Wetter brauche er auch die Japaner im Englischen Garten nicht sehen. Einen solchen Unfug müsse er sich nicht anhören, tobt Herr Hammler, reißt das Fenster auf und starrt hinaus. Jetzt, sagt er entgeistert und den Tränen nahe, sei überhaupt alles zu spät, weil es alle Blüten von dem Weichselbaum im Nachbarhof runtergehagelt habe, weshalb es heuer noch nicht einmal Sauerkirschen gebe.

Frau Hammler, gerührt von der Verzweiflung ihres Mannes und der wohligen Erinnerung an einen Maiabend unter einem Sauerkirschbaum vor 42 Jahren, dem sie ihren Mann verdankt, meint mit überfließendem Herzen, es wäre vielleicht angeraten, doch einmal das Ersparte anzupacken und richtig in Urlaub zu fahren, und es gebe ein Land, wo das ganze Jahr die Kirschbäume blühen.

Nach Japan, sagt Herr Hammler nach einem langen Moment verblüfften Schweigens, fahre er grundsätzlich nicht. Da gebe es ja nicht einmal einen Leberkäs.