Der Verfassungsschutz und seine Gespenster

Alles ist heutzutage nachhaltig. Auch die Bedrohung des deutschen Staates. Sagt Otto Schily.

Von HEIDE OESTREICH

Dass die Sicherheitslage in Deutschland sich auch gestern beim Vorstellen des aktuellen Verfassungsschutzberichts nicht geändert hat, faßt Innenminister Otto Schily mittlerweile mit dem Ausdruck „nachhaltig“ zusammen. Eine „nachhaltige Bdrohung“ gehe von extremistischen und terroristischen Ausländergruppierungen aus. In bewährter Vagheit sagt dies auch der 275 Seiten starke Verfassungsschutzbericht aus.

Nach Schily ist Deutschland nach wie vor im „Zielspektrum“ islamistischer Terroristen. Genaueres dazu enthält aber auch der Verfassungsschutzbericht nicht, der lediglich die öffentlich bekannten Vorfälle wie Festnahmen oder Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche Terroristen referiert.

Der Bericht liest sich im Gegenteil gewohnt fragwürdig, wenn es etwa generalisierend von der Muslimbruderschaft heißt: „der Einsatz von Gewalt zur Verwirklichung eines ‚wahrhaft islamischen Staates‘ wird generell befürwortet“. Dass namhafte Zweige der Muslimbrüder, etwa der in Ägypten, eine legalistische Strategie verfolgen, verschweigen die Verfassungsschützer dagegen. Auch die Islamische Gmeinschaft in Deutschland (IGD), die dem Gedankengut der Muslimbrüder nahesteht, ist bisher nicht von dem legalistischen Weg abgewichen. Über sie heißt es im VS-Bericht denn auch nur, sie habe den Angriff auf den Irak als völkerrechtswidrig kritisiert. Wenn der Verfassungsschutz die einschlägige Broschüre über „Islamismus“ des Innenministeriums zu Rate gezogen hätte, hätte seine Analyse differenzierter ausfallen können.

Bemerkenswert hätte auch erscheinen können, dass trotz des Irakkrieges und der verschärft völkerrechtswidrigen Politik Israels die Zahl der Mitglieder in eher abschottungsorientierten Organisationen wie der IGD und Milli Görüs fast konstant geblieben ist. In 24 islamistischen Organisationen waren 30.950 Personen eingebunden, 2002 zählten die Verfassungsschützer 30.600. Der Löwenanteil dieser Mitglieder ist bei Milli Görüs aktiv. Deren Extremismus besteht nach wie vor hauptsächlich darin, Hetze gegen Nichtmuslime zu betreiben, wie der VS an einzelnen Texten aus der Milli Görüs zugerechneten Milli Gazete belegt. Dass einzelne hohe Funktionäre von Milli Görüs sich von solcher Hetze mehrfach distanzierten, wertet der Verfassungsschutz als Ausdruck einer doppelten Agenda. „Eine offene Programmdiskussion kam weiterhin nicht zustande“, bemängelt die Behörde. Die Zahl der Straftaten, die unter „politisch motivierte Ausländerkriminalität“ subsumiert werden, hat sich zwar von 573 auf 1.473 verdreifacht. Dies allerdings nur, weil alle 1.200 Abonnenten einer verbotenen Publikation des Kalifatsstaats einzeln verfolgt wurden.

Bei den Rechtsextremen gibt es ebenfalls kaum Bewegung. Die rechte Subkultur von Skins und anderen gewaltbereiten Rechten sei erstmals seit neun Jahren etwas zurückgegangen, heißt es, von 10.700 auf 10.000 Personen. Dafür haben aber die Kameradschaften zugelegt: 160 solcher Verbünde gab es 2003, insgesamt zählte die Behörde 3.000 Menschen in diesem Spektrum, im Vorjahr waren es noch 2.600. Es bildeten sich in stärkerem Maße Mischszenen aus Skinheads und Kameradschaften, so Schilys Anmerkung dazu. Die Stagnation sei auch keineswegs Anlass für eine Entwarnung: „10.000 gewaltbereite Rechtsextreme sind eindeutig zu viel“, so Schily. Insgesamt sind die politisch rechts motiverten Delikte und Gewalttaten um jeweils 10 Prozent zurückgegangen.

meinung und diskussion SEITE 12