Vor Gericht am anderen Ufer des Atlantiks

Der Fall eines von Mexiko an Spanien ausgelieferten argentinischen mutmaßlichen Folterers schreibt Rechtsgeschichte

BERLIN taz ■ Nun muss er sich wirklich vor einem Gericht verantworten: Ricardo Miguel Cavallo, 51, Geschäftsmann und mutmaßlicher Folterer aus Argentinien. Am Wochenende wurde er aus Mexiko, wo er im Jahr 2000 verhaftet worden war, an Spanien ausgeliefert, wo der aus dem Pinochet-Verfahren bekannte Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ein Verfahren gegen Cavallo wegen Völkermordes und Terrorismus angestrengt hat.

Der Fall wird Rechtsgeschichte schreiben: Zum ersten Mal wird ein Staatsangehöriger des Landes A, der in Land B verhaftet wurde, an Land C ausgeliefert – um für Taten geradezustehen, die er in seinem Heimatland begangen hat, die aber dort aufgrund einer Reihe von Amnestiebestimmungen nicht zur Strafverfolgung gebracht werden können. Wäre Cavallo in Argentinien geblieben, er lebte vermutlich weiter unbehelligt.

Ricardo Miguel Cavallo war zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur (1976–83) in der berüchtigten Folterstätte Esma in Buenos Aires, wo er sich unter den Decknamen „Serpico“ oder „Marcelo“ tief in das Gedächtnis der Überlebenden gebrannt hat. So tief, dass ehemalige Gefangene ihn erkannten, als sein Bild unter dem neuen Namen Miguel Angel Cavallo in einer mexikanischen Zeitung erschien, weil er mit seiner Firma den Zuschlag für die Führung des privatisierten mexikanischen Kraftfahrzeugregisters erhalten hatte. Er soll in der Esma an Folterungen, Morden und Kindesraub beteiligt gewesen sein.

Die Anklage aber lautet auf Völkermord. Damit setzt die spanische Justiz eine schon während der Pinochet-Anklagen ausgearbeitete Definition von Völkermord fort, die weiter greift als das traditionelle Verständnis. Meist wird davon ausgegangen, die von einem Völkermord betroffene Gruppe müsse sich durch nationale, ethnische oder religiöse Gemeinsamkeiten auszeichnen. Im Falle der argentinischen Militärdiktatur aber, der rund 30.000 Menschen zum Opfer fielen, bestehe der Völkermord darin, eine bestimmte Gruppe, nämlich die der tatsächlichen oder mutmaßlichen Oppositionellen, zur staatlichen Vernichtung freigegeben zu haben. Da diese Definition ausschließlich durch die Täter erfolgte, hatten die Opfer keine Möglichkeit, ihren Status zu verändern – und entsprachen somit etwa ethnisch Verfolgten. Die Anklage wegen Völkermordes ist deshalb bedeutsam, weil danach die spanische Justiz in jedem Falle zuständig sein kann, auch wenn weder Täter, Opfer noch Tatort spanisch sind.

Mit der gleichen Argumentation hatten einige Opferanwälte vor zwei Jahren auch in Deutschland versucht, eine Klage gegen die argentinische Militärjunta einzureichen – doch die deutschen Anklagebehörden mochten nicht folgen.

Der Prozess gegen Cavallo, dem konkret die Verschleppung und Folter von 337 Oppositionellen angelastet wird, von denen 227 nie wieder auftauchten, dürfte in rund zwei Monaten beginnen. Ermittlungsrichter Baltasar Garzón hatte am 1. September 2000 Verfahren gegen Cavallo und 98 weitere argentinische Exoffiziere wegen ihrer Verbrechen in der Diktatur eingeleitet.

BERND PICKERT