„Unser Konzept ist Schnelligkeit“

Philipp Löhle will es wissen: Mit seinem „Kommentar zur Wirklichkeit“ im Maxim Gorki Studio probiert der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Dramatiker eine Art Schnellschusstheater. Skurrile Geschichten sind sein bevorzugter Stoff

Der Dramatiker Philipp Löhle wurde 1978 in Ravensburg geboren, studierte Geschichte, Theater- und Medienwissenschaft und deutsche Literatur in Erlangen. 2007 gewann er für „Genannt Gospodin“ den Werkauftrag des Theatertreffen-Stückemarktes sowie den Dramatikerpreis der deutschen Wirtschaft und wurde zu den Mülheimer Theatertagen 2008 eingeladen. Für „Lilly Link oder Schwere Zeiten für die Rev…“ wurde er 2008 mit dem Jurypreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet. Sein jüngstes Stück „Morgen ist auch noch ein Tag“ wird am 23. 1. in Baden-Baden uraufgeführt. In dieser Spielzeit ist Löhle Hausautor am Maxim Gorki Theater Berlin.

INTERVIEW ANNE PETER

taz: Philipp Löhle, Sie sind in dieser Saison Hausautor am Maxim Gorki Theater. Ab 14. Januar präsentieren Sie dort Ihren „Kommentar zur Wirklichkeit“, bei dem innerhalb von einer Woche Material gesammelt, ein Text geschrieben und das Ganze aufgeführt wird. Aus welcher Motivation heraus ist dieses Projekt entstanden?

Philipp Löhle: Theater funktioniert live, und es könnte eigentlich wahnsinnig schnell sein. Das ist es aber nicht, weil erst mal sechs Wochen geprobt wird und immer schon 17 Spielzeiten im Voraus geplant sind. Dass man im Theater die Chance hat, schnell zu reagieren, und die so wenig nutzt, ist doch schade. Da entstand die Idee: Man liest donnerstags alle Zeitungen, guckt, was einen interessiert, und bringt das am nächsten Mittwoch auf die Bühne. Es geht darum, sich Aktualität reinzuholen. Ich habe den Eindruck, dass die im Theater eher verpönt ist. Das muss alles so eine wahnsinnige Bedeutung haben. Wenn es sich nicht irgendwie auf die „Orestie“ bezieht, ist es nichts wert. Es wird immer verlangt, dass Stücke auch im nächsten Jahr noch ihre Gültigkeit haben.

Darauf kommt es Ihnen also überhaupt nicht an?

Ist natürlich schön, wenn man das in 20 Jahren immer noch spielen kann, aber andererseits hieße das, dass sich die Welt nicht verändert hat, und dann hat’s auch nichts gebracht. Wenn man irgendwann ein Stück nicht mehr spielt, weil es die Probleme, die es verhandelt, nicht mehr gibt, wäre das ja auch schön.

Wird dieser „Kommentar“ denn so eine Art Drama?

Im Prinzip ja. Ludwig Haugk als Dramaturg und Dominic Friedel als Regisseur machen auch noch mit. Dominic sammelt jetzt, eine Woche, bevor es losgeht, schon Ideen und Requisiten. Wir wollten das zwei- beziehungsweise dreigleisig vorbereiten. Dann treffen wir uns, bringen mit, was wir gesammelt haben, aus Zeitungen oder Fernsehen, und ich mache dann aus dem Material irgendeine Art von Stück. Ob das Dialoge werden oder Monologe – noch keine Ahnung.

Was unterscheidet so ein Schnellschusstheater von einem journalistischen Kommentar?

Ich glaube, dass es besser unterhält. Und der journalistische Kommentar ist ja nicht fiktiv. Bei mir wird es eine Geschichte und Figuren geben. Klar, Journalisten machen das ähnlich: Sie gucken sich heute was an, und morgen steht’s in der Zeitung. Ich glaube, der Unterschied ist, dass der Stoff noch mal auf eine andere Weise durch den Kopf durchgeht. Und dass er schließlich aus Schauspieler-Mündern kommt, dass es mir jemand vorspielt. Wir wollen kein „journalistisches Theater“ machen, wie es das zum Beispiel in England gibt, wo die Leute aus Zeitungen vorlesen. Ich möchte einfach zeigen, dass man heute eine Idee haben und die morgen auf die Bühne bringen kann. Es soll auch kein olles Improtheater sein, wir erarbeiten schließlich einen Text. Unser Konzept ist Schnelligkeit, da können wir gar nicht proben. Kann auch sein, dass man dabei auf die Nase fällt und es überhaupt nicht funktioniert, aber dann hat man’s wenigstens mal probiert.

Welche Themen haben sich denn in den letzten Tagen schon eingefunden?

Jedenfalls möchte ich nicht die großen Themen nehmen. Es wird kein Minidrama darüber, wie der thüringische Ministerpräsident im Krankenzimmer liegt und aufwacht; das fände ich pietätlos und würde mich auch nicht interessieren. Ich möchte eher diese skurrilen Geschichten aufgreifen und die größeren Themen da mit einfließen lassen. Mehr so wie die „Gurke des Tages“ bei der taz. Die erzählt ja auch immer was über den aktuellen Tag.

Auch in Ihren Dramen, die bei den Theatern derzeit hoch im Kurs stehen, greifen Sie politisch relevante Themen auf: Konsum- und Leistungsgesellschaft („Genannt Gospodin“ und „Lilly Link“), Klimakatastrophe („Die Kaperer“), demografischer Wandel („Morgen ist auch noch ein Tag“). Insofern ist die Arbeitsweise beim Kommentar-Projekt Ihrer sonstigen Arbeit als Stückeschreiber nicht ganz unähnlich, oder?

Das ist natürlich schon anders. Zum Beispiel gibt’s den großen Unterschied, dass ich jetzt nichts überarbeiten kann. Aber „Lilly Link“ sollte am Anfang eigentlich nur aus Zeitungsmeldungen bestehen. Dass die vom Arbeitsamt ihr die Tür zukleben, weil die Wohnung sonst zu groß ist, das war so eine Meldung. Auch beim Stückeschreiben lässt man sich von dem inspirieren, was man so sieht und hört. Hier ist man bloß näher dran.

Ich war zum Beispiel neulich in Prag und da kam im Radio die Nachricht, dass die Nutten ihre Preise senken mussten wegen der Finanzkrise. Das ist so eine kleine, aktuelle Absurdität, über die man gut mal drei Seiten schreiben könnte. Da ist es schade, wenn das erst in zwei Jahren auf die Bühne kommt. Ich glaube, alle Finanzkrisen-Stücke kommen in drei Spielzeiten raus, wenn die Konjunktur wahrscheinlich wieder boomt, alle wieder Kohle machen und ihre Immobilien verscherbeln. Das ändern wir jetzt!

„Löhles Kommentar zur Wirklichkeit“: 14. 1., 11. 2., jeweils 20.15 Uhr; „Die Unsicherheit der Sachlage“ (Lecture Performance): 22. 1., 5./21./27. 2., jeweils 20.15 Uhr im Studio des Maxim Gorki Theater, Eintritt frei!