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Gottes Erntehelfer

„Die katholische Kirche hat kein Nachwuchsproblem“, sagt Diakon Kutscher, „weltweit gesehen“„Es gibt keinen Glauben mehr in den Familien“, erklärt Pater Jozéf den Priestermangel

aus München SUSANNE LANG

Manchmal führen Gottes Wege an den Fuß des Münchner Hasenbergls. Über eine kurvige Straße, vorbei an weiß getünchten Einfamilienhäusern, vorbei am Lebensmittelmarkt, auf den Kirchturm zu, hinein in die Kirche, direkt vor den Altar. Dort steht er, breitet seine Arme aus und hilft der katholischen Kirche aus ihrem Dilemma. „Nehmen wir uns eine Stunde Zeit“, sagt Pater Jozéf und blickt fest in die Gesichter der versammelten Gemeinde, „eine Stunde der Besinnung.“

Pater Jozéf, 45 Jahre, geboren in Krakau, seit seinem 19. Lebensjahr Ordensbruder der Dominikaner, feiert wie jeden Sonntag seit nunmehr gut drei Jahren den Gottesdienst in St. Gertrud – einer Pfarrgemeinde am Stadtrand Münchens, am Fuße des sozial schwächeren Wohnviertels „Hasenbergl“. Eine Pfarrei, die wie alle katholischen Gemeinden in der Diözese München-Freising ein existenzielles Problem hat: Sie findet keinen eigenen Priesternachwuchs mehr und holt sich Hilfe bei ausländischen Geistlichen. Afrikanern, Indern und vor allem Polen – der stärksten Gruppe in der Diözese. Pater Jozéf ist einer von gut 70 polnischen Priestern, die seelsorgerisch im Erzbistum gastieren.

Der Pater blinzelt, ein Sonnenstrahl fällt durch die Fensterscheibe auf sein Gesicht, er hält inne, lächelt und holt Luft, während die Orgel leise im Kirchenschiff verklingt. „Herr, vergib uns die Zerstreuung moderner Zeiten“, betet er in andächtigem Singsang. „Amen“, hallt es brav zurück, lang gezogen, als würde die Zeit bereits mit dem Wort langsamer vergehen. Die modernen Zeiten – sie sind nicht ganz unschuldig daran, dass der polnische Ordensbruder nun in einem fremden Kulturkreis lebt und predigt. In einer für ihn fremden deutsch-katholischen Religionskultur, die das Gemeindeleben mehr in den Vordergrund stellt als orthodoxen Gottglauben, wie sie der katholizistisch sozialisierte Pole lebt und praktiziert. Zwei Welten, die in der Kirche aufeinander stoßen: die „Zerstreuung moderner Zeiten“ sitzt inkarniert auf den Kirchenbänken, der strenggläubige Gottesdiener steht vor dem Altar. Der ganz weltlich-ökonomische Aushilfsdeal zwischen Polen und den katholischen Diözesen, der der Kirche hier ihre Existenz sichert und der in Polen dringend benötigtes Geld für ihre Nachwuchsausbildung garantiert, ist für die Priester wie für die Gemeinden nicht einfach.

Eine Stunde der Besinnung später, während Pater Jozéf im leuchtend weißen Pfarrhaus mit den blauen Fensterläden schräg gegenüber der Kirche auf das gemeinsame Mittagsessen mit seinen beiden polnischen Mitbrüdern Pater Jan und Pater Stefan wartet, versucht er eine Erklärung dafür, warum er hier ist. „Es gibt keinen Glauben mehr in den Familien“, meint der Pater. Das Satzende vernuschelt sich, wie so oft, wenn Pater Jozéf in seiner polnisch-deutschen Sprachmelodie mit den harten Brüchen erzählt. Nach dem Satzpunkt, den er irgendwo zwischen Mitte und Ende verschluckt, ist seine Stimme wieder ganz fest. „Deshalb gibt es so wenige Berufungen in Deutschland.“ Ob der Zölibat, das pflichtgemäße katholische Keuschheitsgelübde von Priestern, keine Rolle spiele? Pater Jozéf zögert keine Sekunde. „Das glaube ich überhaupt nicht“. Das Problem, davon ist der Pater überzeugt, liegt in der Einstellung der Menschen zum Glauben. „Sie sind so sehr damit beschäftigt, was sie kriegen sollen oder müssen, dass sie nicht merken, was Gott mit ihnen vorhat.“ Da ist sie wieder, die leise Anklage, die bereits den Gottesdienst eröffnete: die modernen Zeiten, die Konsumkultur, in der Haben mehr zählt als Sein und Waren zur wahren Religion wurden. So sieht es zumindest Pater Jozéf, und so empfinden es Pater Jan und Pater Stefan. In den Pfarreien gehe es viel mehr um Gemeinschaft, die Verbindung zu Gott stehe im Hintergrund.

Gemeindeleben als Gemeinschaft unter Menschen – zwei Mitglieder von St. Gertrud sehen das genauso und finden nichts Verwerfliches daran. Ilse Lurtsch, eine ältere Dame mit grauen Dauerwellenschnecken, und Hans Huber, gestandener stellvertretender Vorsitzender mit Schnauzer, sitzen im Konferenzzimmer des Pfarrhauses und sprechen als Pfarrgemeinderatsmitglieder über genau dieses Thema mit dem Diakon Gilbert Kutscher Er ist die rechte Hand von Pater Jozéf. Seit fünf Jahren kümmert er sich um die Gemeinde, hält Predigten, betreut die Menschen in der Sozialwohnungssiedlung. Zuvor hat der Soziologe als Personalplaner gearbeitet. Für den diakonischen Beruf habe er sich bewusst entschieden, weil die karitative Arbeit eine wesentliche Aufgabe der Kirche sei, die Priester nicht allein erfüllen könnten.

Wie also war und wie ist es, mit ihrem gottgesandten Ordenstrio aus Polen? „Wir sind unvoreingenommen gewesen, eigentlich“, sagt Frau Lurtsch. Sie blickt über die Ränder ihrer Brille, macht eine Pause, überlegt. Dehnt das „eigentlich“ sehr bedacht. „Aber es bleibt das sprachliche Problem.“ Die Sprache, die vernuschelten Satzenden, Wörter, die nicht genau die Bedeutung haben, die sie haben sollten. Der Diakon holt tief Luft und widerspricht nahtlos. „Sprache ist nicht der Punkt“, sagt er. „Es ist ein kulturelles Problem, eine andere Grundauffassung in der Seelsorge.“ Beispiel Jugendarbeit. „Da gab es richtig Probleme in den ersten Jahren“, sagt Kutscher. „Jugendarbeit in Polen, das bedeutet vor allem Gebetspraktiken, gemeinsames Feiern der Eucharistie.“ In Deutschland müsse man die Jugend erst mal in die Kirche bekommen. Sie da abholen, wo sie ist. Bei Partys zum Beispiel. „Pater Stefan hatte damit anfangs seine Schwierigkeiten“, sagt Huber. Anfangs – und jetzt? Zumindest hat man über die unterschiedlichen Auffassungen geredet. Das habe geholfen. Man wisse zumindest, was die andere Seite erwarte. „Die polnischen Brüder sind schließlich nicht für die Gemeindeseelsorge in Deutschland ausgebildet“, gibt der Diakon zu bedenken.

Ein Problem, das auf kirchlich-organisatorischen Wegen auf die andere Stadtrandseite Münchens führt. Nach Gauting, Kreis Starnberg. Der hier ansässige Pfarrer Werner Eichinger versucht, die polnischen und anderen ausländischen Gastpriester bei ihrer nicht immer leichten Arbeit in den Gemeinden zu unterstützen. Eichinger ist seit sechs Jahren nebenamtlich bischöflicher Beauftragter der Priester aus dem Ausland, er betreut sie und organisiert Weiterbildungskurse für die Seelsorge in Deutschland. Seine Aufgabe sei, „die Priester mit unserer gesellschaftlichen Situation vertraut zu machen“, erklärt der Pfarrer. „Dass es trotzdem ab und an zu Konflikten kommen kann, ist klar“, räumt er ein. Trotzdem hält er die Bestellungsverträge mit ausländischen Orden für sinnvoll. „Unser Anliegen ist es doch, die Pfarreien zu versorgen.“ Von der Lösung, mehr Pfarreien zusammenzulegen, hält er dagegen nichts. Vielmehr müsse man von „manchen lieben Gewohnheiten“ Abschied nehmen. „Es hilft nichts, Pfarrgemeinden nur zu addieren. Sinnvoll wären größere Einheiten mit weniger Verwaltungsaufwand.“

Bei der nahe liegenden Frage in puncto Nachwuchsmangel bleibt der Pfarrer jedoch auch auf Kirchenlinie: „Der Zölibat ist nicht die primäre Ursache.“ Vielleicht ein Teil des Problems, der andere sei ein gesellschaftliches Phänomen, der wachsende Individualismus. Immer weniger Menschen würden sich auf dauerhaftes Engagement einlassen. „Wenn, dann setzen sie sich projektbezogen ein“, sagt Eichinger.

Am Hasenbergl bereitet Pater Jozéf unterdessen die Eucharistiefeier vor. Die Kirche ist besucht wie immer: nicht zu voll und nicht zu leer. In den ersten Reihen knien ältere Damen, die ihre bunt behüteten Köpfe andächtig gesenkt halten, die Hände zum Gebet gefaltet. Vereinzelt dazwischen ein paar ältere Männer, dazwischen viele Lücken. Und gäbe es Pater Jozéf nicht, wäre auch vor dem Altar nur eine Lücke, noch nicht mal eine Schranke, die man nach Erzählungen des Diakons bei seinem deutschen Vorgänger gespürt hätte. Die Gemeinde spürt dies wohl weniger, als sie es weiß. Die Glocken beginnen zu läuten, Pater Jozéf legt die Hände vor seiner Brust zusammen und schreitet zum Altar, flankiert von Ministranten, Diakon und Orgelspiel. „Herr, wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen.“ Ein ritueller Satz, den Pater Jozéf jedoch aus Überzeugung lebt. Berufen, auch hier in St. Gertrud. Hinterfragt hat Pater Jozéf seine Mission noch nie. „ Mein Ober hat mich auf freundliche Weise gebeten, da habe ich zugestimmt.“ Zugestimmt, seine Heimat, seine Provinz und sein Kloster zu verlassen.

Für jetzt heißt seine Glaubenswelt also St. Gertrud, die Unsicherheit wohnt mit. Nach dem Gottesdienst, wenn Pater Jozéf draußen vor dem Gotteshaus Hände der Gemeindemitglieder schüttelt, kann man sie spüren. Es ist ein schüchternes Lächeln, das er zeigt, wenn Frau Steuer mit ihrem roten Hut, dem passend roten Lippenstift und der braunen Pelzjacke aufgeregt mit dem Diakon schnattert. „Der Rosenkranz ist so schön“, schwärmt sie, „so schön.“ Sie meint den Rosenkranz aus Palästina. Olivenholz. Der Diakon hat ihn von seiner letzten Reise mitgebracht. Und wie Gilbert Kutscher so vor der Kirche Gebetskettchen verteilt und mit den Leuten schwatzt, merkt man, warum Pater Jozéf froh ist, ihn an seiner Seite zu haben. Eine kleine seelsorgerische Brücke zwischen den Glaubenswelten in St. Gertrud. „Die katholische Kirche hat kein Nachwuchsproblem“, hatte Kutscher zuvor gesagt. „Weltweit gesehen hat sie es nicht.“ So führen Gottes Wege die Priester überallhin. Auch von Krakau an den Fuß des Hasenbergls.

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