Für Bush könnte Abu Ghraib zur Iran-Contra-Affäre werden

In den USA richtet sich das öffentliche Augenmerk vor allem auf die politisch Verantwortlichen für die Misshandlungen im Irak, aber auch in Afghanistan

WASHINGTON taz ■ Mit dem heute in Bagdad beginnenden Kriegsgericht gegen US-Militärpolizisten wollen die USA der Welt beweisen, dass ihr Justizsystem rasch und transparent arbeitet und die Verbrechen in Abu Ghraib nicht toleriert. Niemand bestreitet, dass die öffentlichen Prozesse notwendig sind. Experten kritisieren jedoch die Geschwindigkeit, mit der sie angestrengt werden. Denn immer noch ist umstritten, wer in der politischen und militärischen Hierarchie verantwortlich zu machen ist.

In Washington liegt die Aufmerksamkeit längst nicht mehr auf dem Ende der Befehlskette, sondern auf der Verantwortung von Weißem Haus und Pentagon. Die für Präsident Bush unangenehmste Frage lautet, inwieweit seine Regierung rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen hat, die zu den Misshandlungen in irakischen, aber auch afghanischen Gefängnissen führten.

Bush ist seit Montag in arger Bedrängnis, nachdem Newsweek berichtete, das Weiße Haus habe ein „gewagtes“ rechtliches Regelwerk für den Antiterrorkampf geschaffen. Dieses legitimiere ein aggressives Verhörsystem für eine Hand voll CIA-Spezialisten. Doch diese anfangs auf wenige Terroristen begrenzten Verhörmethoden gerieten im Chaos des Irakkriegs immer mehr außer Kontrolle.

Laut Newsweek hatte Bush bereits Ende Januar 2002 entschieden, dass die Genfer Konvention auf vermeintliche Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Terroristen nicht angewendet wird. Die Empfehlung dazu gab sein Rechtsberater Alberto Gonzales in einem internen Memo. Verfasst wurde es wenige Tage nachdem die ersten Häftlinge aus Afghanistan in Guantánamo eingetroffen waren. Ein Mitarbeiter des Außenministeriums ließ Newsweek wissen, dass Colin Powell „an die Decke“ gegangen sei, nachdem er damals die Richtlinie des Weißen Hauses gelesen habe.

Erst am Wochenende hatte der New Yorker enthüllt, die Militärpolizisten in Abu Ghraib handelten bei der Folter von Gefangenen auf Grundlage einer geheimen Weisung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Dieser habe 2003 angeordnet, Verhörtechniken, die in Afghanistan bei der Jagd auf Terroristen eingesetzt wurden, auf irakische Gefängnisse auszuweiten.

Die neuen Enthüllungen sind brisant. Die US-Regierung, die den Folterskandal mit Beginn des Kriegsgerichts in Bagdad als erledigt betrachten wollte, droht vom größten Skandal seit der Iran-Contra-Affäre getroffen zu werden, schreibt das Magazin Slate. „Ich hoffe schlichtweg, Gonzales hat dies nicht empfohlen“, sagte der republikanische Senator Edgar Lugar, Vorsitzender des Außenausschusses im Senat. Sollten sich die Informationen als wahr herausstellen, ist die direkte Verantwortung Bushs nicht mehr zu leugnen.

Dass die Folteraffäre nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet, dafür wird in den kommenden Wochen auch der US-Senat sorgen, der weitere Untersuchungen plant. Dessen Streitkräfteausschuss will General John Abizaid, den Chef der US-Streitkräfte in der Golfregion, und Paul Bremer, Washingtons Statthalter in Bagdad, vernehmen. Dabei soll geklärt werden, warum und wie die US-Regierung die Rechte von Gefangenen aufweichte.

Für Bush ist dabei pikant, dass der Ausschuss von seinen Parteifreunden dominiert wird. Für viele von ihn sind die Ermittlungen Ehrensache, da sie Kriege und Gefangenschaft selbst erlebt haben. Sie wollen den Eindruck vermeiden, dass mit den Prozessen gegen US-Soldaten die Regierung im Folterskandal ungeschoren davonkommt.

MICHAEL STRECK