Wowereit rennt

Zwei SPD-Abgeordnete haben den Regierenden in den Beusselkiez eingeladen, die raue Wirklichkeit eines so genannten Problemviertels kennen zu lernen. Dafür nimmt er sich genau zwei Stunden Zeit

„Na, wat habta denn zu Mittach jejessen?“, fragt der Regierende drei alte Damen

VON SASCHA TEGTMEIER

Klaus Wowereit ist nicht zu halten. Entzückt wie ein kleiner Junge im Süßwarenladen huscht der Regierende Bürgermeister zwischen den Oldtimer-Autos hindurch. Eine Horde von Fotografen und Kameramännern folgt ihm mit der Eigenständigkeit von Lemmingen von einem Luxusauto zum anderen.

„Ooh, der hier würde mir gefallen“, brummt Wowereit und setzt sich in einen roten MG Cabrio. Er lenkt, als würde er wirklich fahren, und versucht dabei zu gucken wie James Dean. Vor lauter Aufregung schrammt einer der Fotografen leicht mit seinem Objektiv an einem Daimler entlang. Wowereit ist ganz in seinem Element.

Der Regierende Bürgermeister besucht an diesem Mittwochvormittag den Beusselkiez in Moabit. Eine hohe Zahl der Körperverletzungen ist charakteristisch für die Kriminalität in diesem Stadtteil, heißt es in einem Bericht der Polizei. Innensenator Ehrhart Körting hatte daher den Kiez entlang der Beusselstraße neben anderen acht Regionen Berlins zum „Problemkiez“ erklärt. 39 Prozent der hier lebenden Menschen haben einen Migrantenhintergrund, vor allem sind das türkische, polnische und libanesische Familien. Immer wieder komme es zu Auseinandersetzungen zwischen ausländischen Jugendgangs, berichtet die Polizei.

Deshalb haben die SPD-Abgeordneten Jutta Leder und Andreas Pape den Regierenden Bürgermeister zu einem Rundgang durch ihren Wahlkreis eingeladen. Er soll lernen, etwas über die raue Kiezwirklichkeit und damit auch etwas über seine Stadt. Zusammengefasst muss man sich das so vorstellen: Zwei Stunden, von 11.30 Uhr bis 13.30 Uhr, hetzen mehrere Bodyguards, zwei Polizisten und irgendwo dazwischen Wowereit durch die Straßen. Erster Programmpunkt: die Oldtimer-Halle „Meilenstein“, soziale Probleme müssen warten.

Wie das zusammenpasst, Luxusautos und Problemkiez? „Ich war auch überrascht“, sagt der Regierende. „Aber die Grundidee ist doch richtig. Die Autoausstellung macht die Gegend attraktiver. Allein das Bewusstsein der Menschen, dass es hier so was gibt, ist schon wichtig.“ Lässig steht er in der Mitte der Journalisten, breitbeinig leicht in den Knien wippend, die linke Hand in der Hosentasche. Wer nach Moabit gekommen war, um politische Inhalte von Wowereit zu hören, der konnte spätestens jetzt wieder gehen. Denn nun schaltete der Showprofi um auf volksnahen Kiezkumpel.

Die erste Gelegenheit dazu bietet ihm eine Seniorengruppe, auf die er gleich neben der Autoausstellung im Projekt „Huttenkids“ stößt. Nachmittags tummeln sich hier 30 Kinder, doch jetzt sind drei ältere Damen da, die basteln und von Wowereit sofort umgarnt werden. „Na, wat habta denn zu Mittach jejessen?“, fragt er. Die Antwort ist im Klicken der Kameras nicht zu hören, wahrscheinlich interessiert sie den Frager selbst nicht.

Im Spielzimmer nebenan berichtet Einrichtungsleiterin Beatrice Stricker dem Bürgermeister über die Probleme mit den Kindern aus der Region um die Huttenstraße. Sie arbeitet hier seit einem Jahr – ehrenamtlich. „Hier findet eine ganz andere Realität als im Meilenstein dort drüben statt“, sagt sie. Viele Kinder kämen mit Aggressionen zu den Spielrunden.

Das Projekt wird größtenteils vom Quartiersmanagement finanziert. Seit 1999 versucht der Senat damit in mittlerweile 17 Stadtteilen die Lebensqualität zu verbessern. Doch die 200.000 Euro vom Quartiersmanagement, die jährlich an alle Projekte im Beusselkiez verteilt werden, reichen nicht. „Wir wünschen uns, dass die Politik ein Zeichen setzt und uns unterstützt“, sagt Leiterin Stricker und schaut auf den Bürgermeister.

Der hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt und beugt den Oberkörper leicht nach vorne. Eine Haltung, die Interesse signalisiert, er guckt verbindlich, doch dann nuschelt er nur etwas wie „Ich guck mir das mal an“ und schreibt noch schnell „Viele liebe Grüße, Klaus Wowereit“ ins Fotoalbum der Kinder.

Dann geht es im Wowereit’-schen Stechschritt die Rostocker Straße entlang, die Fotografen hecheln hinterher. Die Straße ist ruhig und sauber, bis auf wenige zerfallene Häuser wirkt der Kiez hier bürgerlich aufgeräumt. „Die wirklichen Probleme sieht man so nicht“, sagt SPD-Politikerin Leder im Gehen, „die spielen sich hinter den Fassaden ab und freitagabends auf der Straße“.

Am Schaufenster des türkischen Familienbetriebs „Rostocker Getränke“ schüttelt Wowereit die Hand des Besitzers mit einer Hingabe, wie man sie sonst von amerikanischen Präsidentschaftskandidaten kennt. „Na, wie läuft’s? Was gibt’s bei euch denn so?“, fragt er – ohne eine Antwort abzuwarten. Der Innenraum wird offensichtlich von Schnapsflaschen dominiert. „Ah ja, Wasser“, sagt Wowereit grinsend und verabschiedet sich.

In der deutsch-arabischen Kita „Safina – Das Schiff der Weisheit“ singen zwanzig Kinder, so laut sie können, „Alle meine Entchen“. Sie sind zwischen drei und sechs Jahre alt und stammen aus pakistanischen, türkischen, libyschen und syrischen Familien. „Wenn die Kinder hierher kommen, können sie kein Wort Deutsch“, sagt die Erzieherin Nadja Quittkat. Wowereit tätschelt die Kleinen am Hinterkopf, bekommt ein paar selbst gemalte Bildchen überreicht und ist auch schon wieder weg.

Im Jugendtreff „Kibiz“ bekommt er von Betreuer Karim Dawood ein rotes Fußballshirt vom FC Kibiz. Dann doziert Wowereit an einen Kicker gelehnt: „Noch haben wir keine Situation wie in New York. Es ist gefährlich, Regionen mit dem Begriff ‚Problemkiez‘ zu stigmatisieren.“ Man müsse mehr zeigen, wie engagierte Menschen etwas bewegen können. So wie hier.

Die Fotografen interessiert das nicht so sehr, sie wollen lieber sehen, wie der Bürgermeister gegen Betreuer Dawood Tischfußball spielt. Das Bild davon ist so begehrt, dass zwei Fotografen Tritte und Schläge austauschen.

Im Stadtteilzentrum Moabiter Westen zieht sich Wowereit schließlich mit den Mitarbeitern des Quartiermanagements und den SPD-Politikern hinter verschlossenen Türen zurück. Lange dauert auch das nicht. Denn abends muss er in der Aufzeichnung von Anke Engelkes neuer Late-Night-Show in Köln sitzen. Berlin präsentieren.